Lost Boy by Johannes Groschupf

Lost Boy by Johannes Groschupf

Autor:Johannes Groschupf [Groschupf, Johannes]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783864180408
Herausgeber: Oetinger Taschenbuch
veröffentlicht: 2016-12-15T16:00:00+00:00


16. KAPITEL

Ich öffnete eine quietschende Eisentür zur nächsten Halle. Meine überwachen Ohren empfingen ein vielstimmiges Schnarchen, das immer lauter wurde, je näher ich der Abteilung kam. Männerschnarchen. Kaum ein Geräusch kann einen so nerven wie die anhaltende Vibration eines erschlafften Gaumensegels. Hier waren mindestens fünfzig Gaumensegel in Aktion.

»Moe!« Mein Flüstern kam eher als Schrei heraus, und die ohrenbetäubenden Schnarchgeräusche setzten eine eisige Sekunde lang aus.

»Moe ist nicht hier«, sagte jemand.

»Halt die Klappe«, sagte ein anderer.

»Leute, ich will schlafen«, ein Dritter.

»Der Typ sucht Moe«, sagte die erste Stimme, und es klang so, als würde er die Arschkarte gern an mich weiterreichen.

Eine Taschenlampe funzelte auf, der Strahl glitt zittrig durch den Raum, in dem tatsächlich jede Menge Sofas standen, die anscheinend alle belegt waren. Dann blendete der Strahl mich, wanderte weiter und kehrte zu mir zurück.

»Wer ist das denn?«

»Hier ist alles belegt, du Penner. Geh in die Kinderabteilung.«

»Ich suche Moe«, sagte ich.

Eine Frauenstimme stöhnte genervt auf. »Das ist nicht zu fassen, dass hier dauernd jemand reingelatscht kommt. Wir schlafen hier! Wir haben auch ein Recht darauf, nachts ein paar Stunden zu schlafen. Okay? Den ganzen Tag ist man unterwegs, dann will man nachts auch mal seine Ruhe haben. Verstehst du? Ist das so schwer zu kapieren? Bist du ein Bulle oder was? Was hat Moe dir getan? Kannst du sie nicht bis morgen früh einfach mal schlafen lassen?«

Ein Hund kläffte und wurde zur Ruhe gerufen. Überall flackerten Handylichter auf. Einige Leute zündeten sich Zigaretten an, andere streckten sich gähnend. »Hier wird nicht geraucht!«, rief eine autoritäre Stimme quer durch den Verkaufsraum. »Das hatten wir doch schon geklärt!«

Ich blinzelte in das Licht mehrerer Taschenlampen, die auf mich gerichtet waren.

»Du blutest«, sagte einer.

Meine Hand fühlte an der Stirn, doch der Fleck war trocken.

»Tut mir leid, ich wollte nicht stören«, sagte ich. »Ich bin mit Moe gekommen, ich habe sie verloren, wir wollten jemanden besuchen.«

Ich stand immer noch an der Tür, zum Rückzug bereit, falls einige der verärgerten Nachtgäste handgreiflich werden sollten. Oder einen ihrer Hunde auf mich hetzen wollten.

»Sie ist bei Rudi«, sagte einer. »Hinten rechts.«

»Rudi meditiert«, sagte ein anderer.

Ich tastete mich vorsichtig in den Raum hinein. Die Sofas und Couchgarnituren waren in wilder Ordnung sortiert, immer mehrere um einen kleinen Tisch oder eine imaginäre Mitte herum. In der Dunkelheit erinnerte mich der Anblick an die Trecks im Wilden Westen, die für die Nacht in der Wildnis ihre Planwagen zusammengeschoben hatten. An entfernten Ecken setzte jetzt auch wieder das Schnarchen ein, begleitet von unterdrücktem Husten oder Stöhnen. Zwei Hunde knurrten, tief und unbestimmt. Hier und dort sah ich Pärchen mit Kopfhörern auf der Couch sitzen und rauchen, sie verhielten sich still, lauschten einer unhörbaren Musik. Sie wollten nur die Nacht überstehen.

Durch eine Zwischentür gelangte ich zu den Kinderzimmern. Die ganze Etage war so gut wie leer. Rechts in einer Abteilung waren noch zwei oder drei Jugendzimmer aufgebaut, wie Möbelhausausstatter sich Jugendzimmer eben vorstellen. In einer Hängematte nicht weit von der Fensterreihe entfernt schaukelte Moe hin und her. Durch die Fenster drang das missmutig fahle Licht der Lampen vom Parkplatz.



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