Aprikosensommer by Deniz Selek

Aprikosensommer by Deniz Selek

Autor:Deniz Selek [Selek, Deniz]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783733601010
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2015-02-03T16:00:00+00:00


Die Schwester

Doch nach einer Glückssträhne sah es in den nächsten Tagen nicht aus, obwohl meine Mutter ihr Vorhaben wahrmachte. Sie verfasste einen Brief auf Englisch, den sie an Standesämter und Meldebehörden in Istanbul schickte. Auf verschiedenen Personensuchseiten im Internet gab sie den Namen meines Vaters ein und versuchte ihn zusätzlich über Facebook, Xing, Twitter, Instagram und andere Portale zu finden. Sie rief beim Auswärtigen Amt und der türkischen Botschaft an, und am Ende schaltete sie ihre Kollegen bei der Zeitung ein, um eventuell über türkische Journalisten in Istanbul etwas zu erfahren.

Ich behielt mein Handy permanent im Anschlag, auch im Unterricht, weil jede Nachricht meiner Mutter die entscheidende sein konnte. Aber wenn sie sich meldete, ging es nur darum, wann ich Schulschluss hatte oder ob ich noch etwas einkaufen könnte. Ich versuchte nicht zu warten und wartete dennoch jede Sekunde des Tages, selbst wenn ich schlief, wartete ich darauf, dass das Telefon oder das Handy meiner Mutter klingelte. Ein paarmal wachte ich sogar nachts auf, weil ich den Klingelton geträumt hatte, und lauschte dann mit klopfendem Herzen in die Stille. Ich wusste, dass ich nicht enttäuscht sein sollte, dass ich geduldig sein musste, aber es gelang mir nicht. Ich hatte einfach keine Geduld mehr übrig. Sie war aufgebraucht. Zu viele Jahre hatte ich gewartet und gewartet, ohne es zu merken. Immer wieder vergeblich gehofft und gegen das Verdrängen meiner Mutter angekämpft. Und obwohl dieser Kampf nun vorbei war und ich mich eigentlich hätte freuen können, weil sie ja wirklich einiges tat, um meinen Vater ausfindig zu machen, verlor ich beim geringsten Anlass die Beherrschung und ranzte jeden an, der mir in die Quere kam. Bei Hakan und den anderen Dumpfbacken störte mich das nicht weiter, doch um Henny tat es mir leid. Sie wusste natürlich von der Suche und freute sich viel mehr darüber als ich, umso weniger verstand sie mein Verhalten. Sie war gekränkt, wenn ich gereizte Antworten gab oder sie vor den anderen bloßstellte, aber trotzdem konnte sie mir nie lange böse sein, und dadurch fühlte ich mich dann noch schäbiger. Hinzu kam, dass sich die Heilung meines Zeigefingers länger hinzog als gedacht. Nach den ersten Erfolgen schmerzte er wieder und ließ sich auch nicht so gut bewegen. Das nervte mich maßlos. Ich hatte die Krankengymnastik satt, ich hatte die Arztbesuche satt, den Schmerz, den Stillstand und sogar Sam, der sich nicht meldete, weil er mit sich und seinem Laden beschäftigt war, ich hatte es satt, dass Matteo seinen Spaß hatte, während es mir so dreckig ging, und am meisten hatte ich mich selbst satt in meinem Jammertal.

Um meine Freundschaft mit Henny nicht aufs Spiel zu setzen, sonderte ich mich oft ab und fuhr gleich nach dem Unterricht nach Hause. Ich wusste selbst, dass meine Gesellschaft unerträglich war.

Zu Hause saß ich dann stundenlang in meinem Zimmer und glotzte in den Himmel. Still und stumm. Und wartete. Natürlich wartete ich.

Und natürlich passierte Null-Komma-Null, weil ich so verkrampft wartete. Ein paar Flugzeuge glitten von rechts nach links und von links nach rechts durch die Wolken.



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