Verlorenes Vertrauen by Mertes Klaus

Autor:Mertes, Klaus [Mertes, Klaus]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Verlag Herder GmbH
veröffentlicht: 2015-10-16T16:00:00+00:00

„Zwei Mönche gehen eine morastige Straße entlang. Am Straßenrand steht eine junge hübsche Frau in kostbaren Gewändern. Sie will offensichtlich auf die andere Straßenseite, traut sich aber nicht in den Morast. Der eine der beiden Mönche hebt sie auf, trägt sie über die Straße und setzt sie dort ab. Die beiden Mönche gehen weiter. Nach einiger Zeit sagt der eine vorwurfsvoll: Bruder, wie konntest du als Mönch die Frau anfassen? Darauf der andere: Ich habe die Frau über die Straße getragen und abgesetzt. Du aber trägst sie noch immer mit dir herum!“

Manche Seelsorgepraxis muss sich der Frage stellen, ob ihr nicht ein unkeuscher, ein übergriffig verdächtigender Blick auf Sexualität, auf das sexuelle Leben von anderen zugrunde liegt. Das allzu oft angemaßte Bündnis zwischen offizieller Sexualmoral und unkeuscher Seelsorgepraxis muss jedenfalls nachdenklich stimmen. Die letzten Päpste haben einerseits ganz im Sinne des christlichen Menschenbildes das Hohe Lied auf den Leib (Johannes Paul II.) und auf den Eros (Benedikt XVI.) gesungen.70 Aber das theologische Lob der Leiblichkeit und des Eros bleibt merkwürdig abstrakt angesichts des konkreten seelsorglichen Umgangs mit den Liebeserfahrungen von Menschen vor Ort. Für viele Opfer übergriffiger und herzloser Pastoral haben die lehramtlichen Hymnen auf Leiblichkeit und Liebe an Glaubwürdigkeit verloren, weil sie im Namen der Kirche und mit Berufung auf ihre Lehre herzlos, hart und übergriffig angegangen wurden. Solche Erfahrungen verletzen tief und bewirken langfristig dauerhaften Vertrauensverlust in der Kirche.

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