Anleitung zum Widerspruch by Franzi von Kempis

Anleitung zum Widerspruch by Franzi von Kempis

Autor:Franzi von Kempis
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Debunking, "alternative Fakten", post-truth, Verschwörungstheorien, Gesellschaft, Irrationalismus, Journalismus
Herausgeber: Mosaik
veröffentlicht: 2019-09-30T00:00:00+00:00


»Im Koran steht aber…«

Wer so etwas sagt, darf folgende Antwort bekommen: Den Koran, Koransuren, also die einzelnen Kapitel des Korans, oder einzelne Ausschnitte kann man nicht ohne den historischen Kontext betrachten. Wie bei vielen anderen heiligen Schriften, zum Beispiel der Thora im Judentum oder der Bibel im Christentum, spielen Kontext und Interpretation eine entscheidende Rolle. Der Direktor des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa, Mathias Rohe, erklärt das so: »Es gibt keine einzige Aussage in irgendeiner Schrift, die man nicht auch interpretieren muss. Man muss sich immer fragen: Gilt die Aussage vielleicht nur für eine bestimmte historische Zeit oder jetzt auch noch? Gilt sie überall oder nur an bestimmten Orten, betrifft sie alle Personen oder nur bestimmte Personen?«230 Wer einen Text verstehen will, muss die nötige Kompetenz besitzen, ihn zu lesen: Der Koran wird in der Regel nicht wortwörtlich gelesen, Gelehrte ziehen andere Koranzitate hinzu, sie betrachten den jeweiligen Anlass zur Offenbarung dieser oder jener Sure und nähern sich so der Intention der jeweiligen Stelle. Wer religiöse Texte interpretieren möchte, braucht Erfahrung im Umgang mit religiöser Sprache. Das gilt nicht nur für den Koran, sondern auch für den Umgang und die Interpretation anderer heiliger Schriften. Warum ist das wichtig? Weil die Umstände, unter denen diese Schriften entstanden, ganz andere waren, als die, unter denen wir heute leben. Wortwörtliches Suren- oder Bibelzitat-Pingpong bringt also niemanden weiter.

Leider ist Suren-Pingpong sehr beliebt. Immer wieder werden zum Beispiel Suren zitiert, die zu Gewalt aufrufen, um zu beweisen, dass der Islam eine kriegerische Religion sei. Gekontert wird dann mit Koranaussagen über Gottes Barmherzigkeit. Das Spiel funktioniert also in alle Richtungen. Was dabei untergeht: wie der Koran wirklich zu interpretieren ist. Was stimmt: Einige Koranverse sind als gewaltfördernd auslegbar, einige rechtfertigen auch die Gewalt gegenüber Ungläubigen. Was auch stimmt: Viele Passagen des Korans sind nicht eindeutig zu interpretieren. Extremistinnen und Extremisten nutzen das, um die Anwendung von Gewalt zu rechtfertigen. Es wird gerade dann problematisch, wenn einzelne Verse zitiert und so aus dem historischen Kontext gerissen werden. Viele davon beziehen sich nämlich auf konkrete Geschehnisse und Auseinandersetzungen zur Zeit des Propheten Mohammed.

Gerne berufen sich radikale Positionen zum Beispiel auf den fünften Vers der neunten Sure: »Sind aber die heiligen Monate verflossen, so erschlaget die Frevler, wo ihr sie findet, und packet sie und belagert sie und lauert ihnen in jedem Hinterhalt auf.« Dass es sich gerade bei solchen Stellen um zeitlich begrenzte konkrete Anweisungen handelt, ordnet Islamwissenschaftler Mathias Rohe ein: »Diese Stelle wird gerne so gedeutet, dass man alle Nichtmuslime töten müsse. Das ist evident falsch. Die Interpretationen gehen nämlich dahin, dass es sich bei den hier angesprochenen Heiden um eine Gruppe von damals heidnischen Mekkaner handelt, die ›heuchelten‹, um zum Islam überzutreten und dann bei der nächstbesten Gelegenheit den Muslimen in den Rücken fielen. Diese müsse man töten, das ist der Offenbarungskontext. Aber: Die hier angesprochenen Menschen sind alle längst tot, die Sache hat sich erledigt, auch wenn die Stelle noch im Koran steht.«

Bei der Koranauslegung besteht sowieso ein Unterschied zwischen gemäßigtem Mainstream



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