Haut by Edel

Haut by Edel

Autor:Edel
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Haut für sechs Hände

Sie geht durch seine Wohnhöhle unter dem Dach. Fließende Stoffe und Formen. Liebevolle Blumenarrangements, Bücher, Bilder unterschiedlichster Richtungen. Phallische Formen überall – hier ein Kerzenständer, dort ein auffälliger Stein, doch auch viele weiche, eher weibliche Zeichen. Sie sucht den Herrn dieses Reichs in den Gegenständen, berührt Pflanzen, Steine, Glaskugeln, streicht über Buchrücken, trifft Heine und Rühmkorf, Atwood und Lonnie Barbach – eine Mischung, die sie animiert.

Auf dem Schreibtisch, aufgeschlagen, ein Fotoband. Schwarzweißfoto einer nackten Männerschulter. Haut in Großaufnahme. Unter dem Bild, in schwungvoller Schrift mit pinkfarbener Tinte, ein Wort: »Du«.

Die Haut ätzt sich in ihre Augen, Pore für Pore, und sie streicht behutsam mit dem Mittelfinger über das Papier, glaubt, Hautwärme zu spüren, zu riechen. Fühlt ein Prickeln über die Hand, den Arm hinauf in die eigene Schulter kriechen, die sich so ganz anders anfühlt. Die eigene Haut scheint ihr ferner, fremder als seine, als die Haut auf dem Foto.

Sie schließt die Augen, sieht ihn nackt, fühlt seine Haut an ihrer, atmet ihn tief ein – er kommt mit den Rotweingläsern aus dem Nebenzimmer, unterbricht sie. Mechanisch antwortet sie auf seine Fragen, ist weit fort und ihm doch so nahe, unter seiner Haut. Seine Stimme vibriert unter der ihren, wenn er jetzt von Liebe spricht und sie ihn zum Schweigen bringen will.

Warum von Liebe reden?

Er hockt sich unvermittelt auf den Boden, ihr zu Füßen, umfaßt dabei ihr Knie; sie kommt zurück aus weiter Ferne.

»Wo warst du?« fragt er, und sie sagt: »Bei dir.«

»Mmmmh«, brummt er, drückt den Ton genießerisch zwischen den Lippen, fährt mit dem Handrücken ihr Schienbein hinab, beinahe unverfänglich, so als prüfe er die Qualität der Strümpfe. Unschuldsaugen sehen sie an, lauern auf ihre Reaktion. Dabei schieben weiche Hände den Rock höher, trennen ihre Knie, fahren schenkelinnenwärts wieder hinab und umfassen die Knöchel. Rauschen im Ohr. Sie hört die eigene Stimme von fern, versteht aber nicht den Sinn seiner Antworten, versinkt in seinen Augen, schmilzt langsam, dann immer schneller, heißer, ihr Körper eilt ihr voraus, ist schon viel weiter als ihr Kopf, der noch denkt: »Ringe« und »Ehemann«. Denkt »Rettungsring am rechten Finger«.

Ihr Daumen tastet weich seine Unterlippe entlang. Er saugt an ihrem Finger, scheint ihn verschlingen zu wollen, und seine rechte Hand streicht, ein sanfter Hauch nur, über die elektrisierten Härchen. Sie treibt auf stürmischen Wellen unbekannten Ufern zu.

Immer wieder der magische Ruf männlicher Sirenen. Brandungswellen über und im Leib werden zur Droge, der sie nicht widerstehen kann und will.

»Ring«, denkt ihr Kopf noch einmal, während ihre Hände schon unter dem Hemd über Haut gleiten, farbig diesmal die Wärme spüren. Sie küßt seine Schulter, preßt ihre Lippen auf die zarte Haut unter dem Hals, dort, wo sie sich über dem Knochen spannt. Sie spürt seinen Herzschlag, der heftiger wird, hört sein Atmen, riecht ihn, nimmt ihn mit jeder Pore in sich auf, und noch immer ist er ihr nicht nah genug. Sie will ihn, jetzt, sofort, unter ihrer Haut, verschmolzen mit ihm, untrennbar, eins sein mit ihm und doch ganz anders, Angst fühlen vor dem drohenden Herzversagen und Macht spüren.



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