Tanz im Licht by Shirley MacLaine

Tanz im Licht by Shirley MacLaine

Autor:Shirley MacLaine
Die sprache: deu
Format: mobi
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Zehntes Kapitel

Für eine kleine und aufblühende Beziehung ist es vermutlich wichtig, sich auftürmende Hindernisse nicht zu beachten, sie auf kleiner Flamme schmoren zu lassen, bis man sie im klaren, nüchternen Licht eines späteren Tages betrachten kann. Vassy und ich hielten es jedenfalls so. Es sei denn, diese Hindernisse waren für ihn nicht notwendigerweise bedeutsam. Für mich wohl auch nicht, denn nach unserer „bösen Inzest“-Nacht kam dieses Thema nicht wieder auf den Tisch. Warum auch? Wir hatten genug andere Bereiche im anderen zu erforschen.

Vassy liebte seine wilde Insel. Er führte mich an die zerklüfteten Felsen über der tosenden Brandung. Überall nahm er seine Kamera mit und ich meine Polaroid. Er unterrichtete mich in Belichtungszeiten, Bildausschnitten und gab mir Anweisungen, welche Posen ich vor der Kamera einnehmen sollte. Entweder lieb und begeistert oder streng und unduldsam, das hing von seiner jeweiligen Stimmung ab.

Vassy joggte jeden Morgen. Er schien den Schmerz des angestrengten Laufens zu brauchen, um den Rest des Tages dafür dankbar zu sein. Manchmal begleitete ich ihn, und wir redeten über alles, was uns interessierte. Ich lief neben ihm her, solange ich Lust hatte, und verlangsamte mein Tempo zu einem schnellen Gehen. Vassy umkreiste mich, während er weiterlief, damit wir unser Gespräch fortsetzen konnten. Eine Weile dachte ich, vielleicht trainiert er heimlich für die Olympiade. Aber im Ernst, er brauchte eine gewisse Disziplin, um sich unbekümmert seinen spontanen Gefühlen hingeben zu können.

Wir liefen und redeten, während wir Weizen- und Gerstenfelder und Blumenweisen der Insel durchstreiften. Auch strömender Regen hielt Vassy nicht vom Laufen ab.

Vassy war immer mehr davon überzeugt, daß Doctor’s Wifeein guter Stoff für einen Film sei. Ich hörte ihm gern zu, wenn er laut über Visualisierungen nachdachte. Seine Augen waren wie zwei Kameras. Sie registrierten multidimensionale Bilder im Nu. Ein einmal gesehenes Gesicht vergaß er nie wieder, und von dem, was um ihn herum geschah, entging ihm kaum etwas. Aber die Feinheiten und emotionalen Tiefen der Menschen, die ihm umgaben, nahm er nicht wirklich wahr, es sei denn, sie hatten Empfindungen, mit denen er sich identifizieren konnte. Oder er scheute sich, noch mehr gefühlsmäßige Vorspeisen auf seinen Teller zu häufen, der davon bereits überquoll.

Schließlich kehrten Vassy und ich nach Paris in unsere „Zelle“ zurück. Er arrangierte Vorführungen seiner anderen Filme. Er versuchte, mir die französischen Untertitel zu übersetzen, und gab mir knapp Zusammenfassungen russischer Feinheiten, was mich jedoch in zunehmendem Maße anstrengte, da ich begriff, daß ein Großteil seiner künstlerischen Motivation auf komplexen Symbolismen beruhte. Die Drehbücher zu seinen Filmen hatte er selbst geschrieben, die angesichts der sowjetischen Auflagen tiefe spirituelle Aussagen machten. Ich konnte den Unterschied zwischen dem, was er als spirituell, und dem, was er als religiös bezeichnete, nicht erkennen und fragte mich, ob für ihn in diesen beiden Begriffen ein großer Unterschied lag.

Vassy zeigte mir seine Filme, die mich in der Reinheit ihrer Romantik stark beeindruckten. Die Beziehungen, die er auf die Leinwand malte, waren Erzählungen, die stark an klassische Vorbilder erinnerten. Seine Heldinnen waren kindlich verspielte Figuren, die sich wehmütig, aber duldsam in ihr Schicksal fügten.



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