Spätes Tagebuch by Mannheimer Max
Autor:Mannheimer, Max [Mannheimer, Max]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783492970815
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 2015-05-11T16:00:00+00:00
6. Februar 1943
Heute bin ich dreiundzwanzig. Meine Brüder gratulieren. Nächsten Geburtstag in Freiheit! Die Freunde schließen sich an. Ich habe Mühe, die Tränen zu unterdrücken. Härte macht nicht hart. Zumindest nicht mich.
Appell. Läuseappell. Kiesholen. Schläge. Gegen Mittag hören wir ein großes Geschrei aus dem Nebenblock. Ein Häftling hat aus einer Decke ein Stück herausgeschnitten. Für Fußlappen. Alle drei Blocks antreten! Alle für einen, brüllt der Blockälteste. Sabotage! Volksschädling! Der Saboteur liegt zusammengeschlagen vor dem Block. Er wird nicht mehr lange leben. Zwischen den Blockreihen, auf der breiten schlammigen Lagerstraße treten wir an. Lagerälteste, Stubendienste, Blockälteste laufen aufgeregt und brüllend hin und her. Sie stoßen und schlagen. Jetzt sind sie zufrieden. Um einen Sonderappell kann es sich nicht handeln. Alle stehen zusammen. Durcheinander. Die Spannung steigt. Was wird wohl kommen? Der Lagerälteste mit dem schwarzen Winkel übernimmt das Kommando. Stillgestanden!
Er droht mit hundert Stockhieben, mit Stehbunker, Entzug der Verpflegung, falls sich der Fall wiederholen sollte. Jetzt läßt er uns in die Kniebeuge gehen. Aufstehen! Kniebeuge! Auf! Kniebeuge! Auf! Kniebeuge! Vorerst bleibt es bei diesem Befehl. Unsere Blechnäpfe, die an unseren Gürteln baumeln, versuchen wir als Sitz zu verwenden. Wer erwischt wird, bekommt Schläge. Nach einer Stunde kippen die ersten um. Stubendienste helfen mit Stockhieben nach. Die Kälte, der Hunger, die Kniebeugen. Nach sieben Stunden dürfen wir in die Blocks. Die Liegengebliebenen werden zur Seite geschleift. Vor den Block gelegt. Sie werden zum Appell nicht mehr antreten müssen. Sie werden liegend gezählt. Behandelt wie die Toten. Die Blockschreiber notieren sich ihre Nummern. Den Blockältesten werden heute mehrere Portionen übrigbleiben. Auch Margarine. Oder Wurst. Ja, es war mein dreiundzwanzigster Geburtstag. Ich werde ihn nicht so schnell vergessen.
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