Siesta italiana - Meine neue italienische Familie by Chris Harrison

Siesta italiana - Meine neue italienische Familie by Chris Harrison

Autor:Chris Harrison
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: PeP eBooks


Milano - Bologna

Der Intercity schlingerte über ein Gewirr an Gleisen, bevor er den Bahnhof hinter sich ließ. Als wir Kurs gen Süden nahmen, wichen die Wohnblocks allmählich Fabriken und schließlich Feldern. Der Waggon hatte einen Gang zur Linken, zur Rechten befanden sich Abteile mit je sechs Sitzplätzen. Die Wände meines Abteils schmückten Fotos von den vier Jahreszeiten, aber wir hielten aus unerfindlichen Gründen so oft, dass ich schon befürchtete, mindestens zwei davon vor meinem Fenster verstreichen zu sehen. Zwischen den Bildern hing ein kaputter Spiegel, ein Schild am Fenster warnte in vier Sprachen davor, sich hinauszulehnen, und an der Tür stand »Rauchen verboten«. Das hielt allerdings auch niemanden davon ab, sich eine Zigarette anzuzünden. Doch nur wenige beschwerten sich darüber, dass der Zigaretten- den Uringestank der Toilette am Anfang des Waggons überdeckte. Und dafür hatte ich mich so beeilt? Ich hatte eine lange Reise vor mir.

Die lahme Lokomotive zog Waggons, die allesamt unbequem und überfüllt waren. Passagiere ohne Platzreservierung saßen im Gang und wurden von jenen fast zertrampelt, die auf dem Weg in ihre klaustrophobischen Abteile waren. Trenitalia verkauft mehr Plätze, als eigentlich vorhanden sind. Wer keine Reservierung kaufen will, steht ebenfalls im Gang. Und da es Anfang Juli war und die Schulferien soeben begonnen hatten, gab es viele, denen das nichts ausmachte - Hauptsache, sie kamen schnellstmöglich ans Meer. Mensch und Tier konnten es kaum erwarten, Mailand zu verlassen. Ein Passagier versorgte seine Schildkröte mit ein paar Tropfen Wasser, bis sie selbst einige Tröpfchen ließ. Die Schildkrötenpisse stank faulig, und ich vergaß schnell die anderen Gerüche, die unseren Zirkuswaggon füllten.

Hier wurde offensichtlich, warum der Süden verachtet wird. Ich war mit Zügen durch ganz Norditalien gefahren, die schnell, sauber und zuverlässig waren, auch wenn Pünktlichkeit bedeutete, dass sie mindestens eine Viertelstunde Verspätung hatten. Aber diese antike Waggonsammlung sollte mit Sicherheit auf Nimmerwiedersehen ganz unten in den italienischen Stiefel verbannt werden. Der Schriftsteller Guido Ceronetti muss einen ganz ähnlichen Zug benutzt haben, denn er schrieb, diese italienischen Züge verlangten einem Reisenden eine Engelsgeduld ab! Diese dreckigen Blechkisten ohne jeden Fahrplan erinnerten einen eher an Züge aus den Anden oder aus Kalkutta. Das Einzige, was noch fehlte, war Vieh, obwohl die Passagiere eingesperrt waren wie Sardinen in eine Dose. Und dann war da natürlich noch die Schildkröte, dieses inkontinente Mistvieh.

Wenn Italien die Form eines Stiefels hat, ist dieser gleichzeitig eine perfekte Metapher. So gesehen war der Adria-Express sein kaputter Reißverschluss, der auf seinem Weg durch den auf Hochglanz polierten Stiefelschaft - Norditalien - zur kaputten, abgelaufenen Sohle - Süditalien - regelmäßig hängen blieb. Während dieser Reißverschluss langsam nach unten glitt, Zähnchen für Zähnchen, Bahnhof für Bahnhof, öffnete er den Stiefel ein wenig mehr und erlaubte mir zum ersten Mal, seine Passform zu überprüfen und die Unannehmlichkeiten seines plumpen Absatzes zu spüren, der einem eine gehörige Portion Stoizismus und Anpassungsfähigkeit abverlangt, wenn man die Blasen überleben will.

Unser langer Weg war wie eine Reise in die Vergangenheit, und die Warnungen meiner Schüler hallten mir in den Ohren wieder. Während unserer Zeit in Mailand hatte



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