Es reicht! by Boullosa Carmen & Wallace Mike

Es reicht! by Boullosa Carmen & Wallace Mike

Autor:Boullosa, Carmen & Wallace, Mike [Boullosa, Carmen & Wallace, Mike]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783956140785
Herausgeber: Verlag Antje Kunstmann
veröffentlicht: 2015-11-08T16:00:00+00:00


Kollateralkriminalität

Calderón hatte nicht die Durchsetzung des Drogenverbots, sondern den Sieg über die Narcos, die eine Herausforderung für die Staatsmacht darstellten (und sie zum Teil schon ersetzt hatten), zu seinem Ziel erklärt. Es ging also ursprünglich darum, die Zustände zu beenden, in denen das organisierte Verbrechen die öffentliche Ordnung und Sicherheit untergrub. Aber so wie der Präsident den Sieg definierte, bedeutete dies letztlich, die Kartelle zu zerschlagen und die Drogenbosse zu stürzen – womit die Angelegenheit zu einer Art Zweikampf wurde. Calderón glaubte fest daran, dass eine Enthauptung der Organisationen ihre Herrschaft über weite Teile Mexikos zumindest schwächen, im günstigsten Fall beenden würde. Daran gemessen war sein sexenio ein voller Erfolg: Calderóns Leute fingen oder töteten fünfundzwanzig der siebenunddreißig meistgesuchten Topkriminellen. Doch das führte keineswegs zum gewünschten Resultat.

Zum einen hatten sich die fünf größten Verbrecherorganisationen, die es 2006 gegeben hatte, 2012 zu zwei riesigen Super-Kartellen zusammengeschlossen – das Sinaloa-Kartell im Westen und das Zeta-Kartell im Osten. Calderón hatte unbeabsichtigt die Machtkonzentration in der Drogenindustrie gefördert. Die Golf-, Beltrán-Leyva-, Juárez-, Tijuana- und Templario-Bande spielten nur noch eine zweitrangige Rolle.

Zum anderen gab es eine explosionsartige Zunahme des unorganisierten Verbrechens. Es war das alte Hydra-Problem: Calderóns Krieg erzeugte in Kombination mit der Zersplitterungstendenz der organisierten Kriminalität etwa achtzig kleinere Verbrecherbanden und entfesselte damit deren freies Unternehmertum und seine mörderische Begleiterscheinung: Konkurrenz. In Calderóns Augen war die daraus resultierende Welle von Gewalt der Kleinbanden untereinander und gegen die Bevölkerung ein Anzeichen seines Erfolgs – etwa in der Art, wie Fieber anzeigt, dass der Körper eine Infektion bekämpft. Dieser bestürzende Grad von Weltfremdheit ermöglichte es ihm, den erschreckenden Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung als das letzte Aufbäumen des Sturms vor der Ruhe zu verkaufen.

Die Wahrheit ist, dass die hektischen Bemühungen, mitten im Kriegszustand Geld aufzutreiben, die gesamte Kriminalitätslandschaft umstrukturierte, weil die Rivalen nun neue Märkte erschlossen. In den USA war es 1933 nach der Aufhebung der Prohibition zu einer ähnlichen Entwicklung gekommen. Als die legalen Unternehmen wieder die Kontrolle über die Produktion und den Vertrieb von Alkohol übernahmen, sahen sich die Bosse des organisierten Verbrechens, die das illegale Alkoholgeschäft reich und mächtig gemacht hatte, gezwungen, neue Geschäftsfelder ausfindig zu machen, etwa die Gewerkschaften zu unterwandern oder sich als Streikbrecher zu betätigen, und auf dem Gebiet von Erpressung, Glücksspiel und Prostitution aktiv zu werden. Im 21. Jahrhundert kam es nun in Mexiko eher zu einer Zweiteilung. Die schweren Jungs behielten das große internationale Drogengeschäft fest in der Hand und überließen es den kleineren Ganoven, ihr Geschäft zu diversifizieren und sich auf lokale Jobs zu spezialisieren.

Unter diesen Voraussetzungen, so zeigen Statistiken des Instituto Nacional de Estadística Geografía e Informática (Nationalinstitut für Statistik, Geografie und Informatik), stieg die Verbrechensrate insgesamt sprunghaft an und kehrte damit den seit den 1990ern herrschenden Abwärtstrend um. Ganz vorne mit dabei waren die Kidnapper.

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Entführungen waren zuletzt während der Wirtschaftskrise der 1990er Jahre ein größeres Problem gewesen, allerdings nicht in direktem Zusammenhang mit dem organisierten Drogenschmuggel der damaligen Zeit. Eher im Gegenteil: Als unabhängige Verbrecher in Sinaloa begannen, reiche Rancher zu entführen und ihnen



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