Ziemlich by Kiepenheuer

Ziemlich by Kiepenheuer

Autor:Kiepenheuer
Die sprache: deu
Format: mobi
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Juli

Freyas schönste Anziehsachen werde ich jetzt einfach wegpacken. Zum größten Teil sind es Geschenke von Freunden oder Familienmitgliedern, bevor sie erfahren haben, was mit Freya los ist. Und außerdem noch ein paar besonders großzügige Schenkungen, nachdem sich ihr Zustand herumgesprochen hatte.

Meine Lieblingsstücke: eine wollene Wickeldecke, die ich in der Schwangerschaft gekauft habe. Das selbst genähte blau-weiß gesmokte Kleid von meiner Mutter. Gebatikte Tops aus Indien von Martha. Bestickte Baumwollsöckchen. Höschen mit Lochstickerei. Laken mit eingestickten Initialen. Was soll ein sieben Monate altes Baby damit, das noch nicht einmal den Kopf selbst halten kann? Vielleicht wird es eines Tages noch ein Kind geben, bei dem diese Sachen Verwendung finden.

In letzter Zeit ertappe ich mich immer häufiger bei glückseligen Tagträumereien. Darin bin ich wieder schwanger. Diesmal habe ich keinerlei Beschwerden, weder Übelkeit noch Verstimmungen. Es sind Zwillinge: ein Ersatzkind, falls uns das Schicksal abermals übel mitspielt. Endlich kann ich mich gut abgrenzen, dafür war Freya wohl gut. Die Geburt verläuft problemlos, Tobias weint wie beim ersten Mal, und wir durchleben unseren magischen Moment von Neuem, nur dass diesmal kein Albtraum folgt.

Ich weiß, dass es verrückt klingt, aber ich halte mich an dieser Fantasie fest. Die Zwillinge müssen mich so in Beschlag nehmen, dass ich keine Zeit habe, Freya hinterherzutrauern. Wenn sie eines Tages ins Heim kommt, werde ich keine Zeit haben, mir den Kopf zu zermartern, ob sie allein in ihrem Erbrochenen liegt, denn ich werde damit beschäftigt sein, bestickte Kleidchen für Kinder mit der Hand auszuwaschen, die sprechen und laufen können.

Tobias schläft noch. Neben ihm im Bett liegt Freya; ihre Köpfe sind zur selben Seite gedreht. Jeder hat einen Arm nach oben ausgestreckt. Beide schnarchen. Sie gleichen sich wie ein Ei dem anderen. So einträchtig, so schön. Alle beide. Und ehe ich mich versehe, schleicht sich die Liebe in mein Herz zurück und dreht das Messer in der Wunde.

Ich nehme die Babysachen vom Regal und sortiere sie schnell durch. Was sich leicht waschen lässt, kommt zurück ins Fach: Frottee-Bodys, Polyesterstrampler, Baumwolljäckchen. Alles was aus reiner Wolle ist, Rüschen oder Stickereien hat oder nicht farbecht ist, landet sofort in einem Plastiksack. Ich hieve den Beutel aufs oberste Regal, bereit für den Tag, an dem mein Leben wieder in normalen Bahnen verläuft.

Lizzy verströmt eine seltsame Energie. »Ein neues Zeitalter bricht an!«, verkündet sie immer wieder. »Eine Zeit der Fülle!«

So ganz unrecht hat sie nicht. In den Gärten im Tal gedeiht alles prächtig. Dunkelrote Tomaten hängen schwer an Rispen; Artischocken recken stolz die Köpfe; und in den ordentlichen Reihen leuchten Stangenbohnen, Zucchini, Paprika und Auberginen.

Vom Fleischerhaken in der Wildkammer hängen Yvonnes Würste in wunderbar wilder Vielfalt.

»Wow«, sage ich, als sie mir einen raschen Blick gewährt. »Aber die sind noch ein bisschen feucht.«

»Das ist ganz normal«, erklärt sie mir. »Das Wasser muss langsam raustropfen. Die Feuchtigkeit stimuliert wilde Hefen. Schon bald werden die Würste mit weißem Schimmel bedeckt sein.«

»Schön.«

»Das ist genauso wie bei der Herstellung edler Weine oder Käsesorten. Die Würste müssen an einem kühlen Ort langsam und mit Liebe reifen.«

»Was kochst du denn da drüben?«, frage ich.



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