1984 by Orwell George

1984 by Orwell George

Autor:Orwell, George [Orwell, George]
Die sprache: deu
Format: epub, azw3, mobi
Herausgeber: Diana Verlag
veröffentlicht: 1964-02-29T23:00:00+00:00


Sechstes Kapitel

Endlich war es soweit. Die erwartete Botschaft war gekommen. Sein ganzes Leben lang, schien es ihm, hatte er darauf gewartet. Er ging den langen Gang im Ministerium hinunter und war beinahe gerade an der Stelle angekommen, an der Julia ihm den Zettel in die Hand gedrückt hatte, als er merkte, daß jemand von größerer Statur unmittelbar hinter ihm herging. Der Betreffende, wer immer es sein mochte, ließ ein leises Hüsteln hören, offenbar als Einleitung zu einem Gespräch. Winston blieb unvermittelt stehen. Es war O‘Brien.

Endlich standen sie sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber, und sein erster Impuls war davonzulaufen. Sein Herz klopfte heftig. Er hätte kein Wort hervorbringen können. O‘Brien jedoch war ruhig weitergegangen, er legte einen Augenblick freundlich die Hand auf Winstons Arm, so daß sie jetzt nebeneinander hergingen. Er begann mit der eigentümlich ernsten Liebenswürdigkeit zu sprechen, die ihn von der Mehrzahl der Inneren Parteimitglieder unterschied.

»Ich hatte schon immer auf eine Möglichkeit gehofft, mit Ihnen zu sprechen«, sagte er. »Ich las kürzlich einen Ihrer Neusprachartikel in der Times. Sie haben ein lebhaftes wissenschaftliches Interesse für die Neusprache, wie ich wohl annehmen darf?«

Winston hatte sich wieder einigermaßen in der Gewalt. »Nicht so sehr ein wissenschaftliches«, sagte er. »Ich bin nur ein Amateur. Es ist nicht mein Fach. Ich hatte nie etwas mit der eigentlichen Gestaltung der Sprache zu tun.«

»Aber Sie schreiben sehr gewählt«, sagte O‘Brien. »Das ist nicht nur meine Meinung. Ich sprach unlängst mit einem Ihrer Freunde darüber, der zweifellos ein Fachmann ist. Sein Name ist mir im Augenblick entfallen.«

Wieder gab es Winston einen schmerzlichen Stich im Herzen. Unmöglich konnte es sich hier um etwas anderes handeln als um eine Anspielung auf Syme. Aber Syme war nicht nur tot, er war vollkommen beseitigt worden, eine Unperson. Jede deutliche Anspielung auf ihn wäre lebensgefährlich gewesen. O‘Briens Bemerkung mußte offensichtlich als Zeichen, als ein Stichwort gemeint gewesen sein. Indem sie so gemeinsam ein kleines Gedankenverbrechen begingen, hatte er sie beide zu Komplicen gemacht. Sie waren langsam weiter den Gang hinuntergeschlendert, jetzt aber blieb O‘Brien stehen. Mit der merkwürdigen, entwaffnenden Freundlichkeit rückte er seine Brille zurecht. Dann fuhr er fort:

»Was ich eigentlich sagen wollte, war, daß ich in Ihrem Artikel auf zwei Worte gestoßen bin, die außer Kurs gesetzt worden sind, doch erst seit ganz kurzer Zeit. Haben Sie die zehnte Ausgabe des Neusprach- Wörterbuches gesehen?«

»Nein«, antwortete Winston. »Ich dachte, sie ist noch nicht erschienen. Wir in der Registratur benutzen noch immer die neunte.«

»Die zehnte Ausgabe soll meines Wissens auch erst in einigen Monaten erscheinen. Aber ein paar Exemplare wurden bereits verteilt. Ich besitze selbst eines. Es interessiert Sie vielleicht, es einmal anzusehen?«

»Sehr sogar«, sagte Winston und erkannte sofort, worauf das hinauswollte.

»Manche Neuerungen sind höchst genial. Zum Beispiel die Verminderung der Zeitwörter – das wird Ihnen, glaube ich, besonders gefallen. Passen Sie auf, soll ich einen Boten mit dem Wörterbuch zu Ihnen schicken? Aber ich fürchte, ich vergesse das wieder. Vielleicht könnten Sie es zu einer Ihnen passenden Zeit in meiner Wohnung abholen? Warten Sie, ich gebe Ihnen meine Adresse.«

Sie standen vor einem Televisor.



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