Wenn das Eis bricht by Camilla Grebe

Autor:Camilla Grebe [Grebe, Camilla]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman-Thriller-Psycho
Herausgeber: btb Verlag
veröffentlicht: 2017-04-10T00:00:00+00:00

PETER

Die Ermittlung hat ihre Richtung geändert, konzentriert sich von einem Tag auf den anderen auf etwas ganz anderes, wie das manchmal eben passiert. Die Mitteilung aus dem Labor, dass die Machete bei dem Mord in Jesper Orres Haus und bei dem an Miguel Calderón verwendet worden ist, ist im Polizeigebäude wie eine Bombe eingeschlagen. Die Aktivitäten sind genauso hektisch wie vorher, aber etwas von der Resignation ist einer Erwartungshaltung gewichen. Die große Wandtafel in unserem gemeinsamen Arbeitsraum, die mit Bildern aus Orres Haus tapeziert ist, mit Fotos von Orres Arbeitskollegen und Bekannten, wurde jetzt um eine weitere ergänzt, die Bilder aus dem alten Fall zeigt.

Sanchez hat offenbar die halbe Nacht gearbeitet und sich über den Calderón-Fall informiert, und nun sucht sie Gemeinsamkeiten zwischen Calderón und Orre. Die werden sehr schwer zu finden sein, vermute ich, denn von außen sehen ihre Leben ganz unterschiedlich aus, und offenbar sind sich die beiden nie begegnet.

Calderón war fünfundzwanzig Jahre alt, als er im September vor zehn Jahren in seiner Mietswohnung auf Södermalm in Stockholm tot aufgefunden wurde. Er hatte alle möglichen Jobs gehabt. Unter anderem hatte er als Koch, persönlicher Assistent, Zeitungsbote und Aushilfspfleger im Krankenhaus gearbeitet. In seiner Freizeit trainierte er Karate und spielte Bass in einer Jazzband. Er hatte keine Freundin, und seine Schwester hatte angedeutet, dass er wohl schwul gewesen sei. Fünf Jahre vor dem Mord wurde er wegen Körperverletzung und Diebstahls verurteilt, aber laut der Voruntersuchung gab es keinen Grund zu der Annahme, dass er in der Zeit vor seinem Tod irgendwelche kriminellen Beziehungen gehabt hätte. Es gibt auch keine Belege dafür, dass er sich in denselben Szenen aufgehalten haben könnte wie Orre: Sandhamn, Verbier, Marbella oder den Nachtklubs um den Stureplan.

Weil Orre noch immer verschwunden ist, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass wirklich er es war, der die Frau ermordet hat – und vielleicht auch für den Mord an Calderón verantwortlich ist. Aber einige gestohlene Stringtangas und rücksichtsloses Verhalten in der Firma reichen wohl kaum aus als Beweise. Wir brauchen eine Verbindung zwischen ihm und Calderón – und wenn es eine gibt, dann werden wir sie finden. Und wenn wir jeden Zentimeter ihres elenden Lebens vermessen müssen.

Und jetzt spüre ich, wie die vertraute Traurigkeit und Resignation sich anschleichen. Ich habe diese zähen Mordermittlungen so satt. Wenn mich vor zehn Jahren jemand gefragt hätte, dann hätte ich vielleicht gesagt, dass dieser Fall das Spannendste und Herausforderndste sei, an dem ein motivierter Ermittler sich die Zähne ausbeißen kann, aber jetzt verspüre ich vor allem eine lähmende Müdigkeit. Ich würde mir am liebsten ein Sixpack Bier kaufen und nach Hause fahren und mich vor den Fernseher aufs Sofa legen, Sport gucken. Ich glaube nicht, dass jemand, der selbst nicht bei der Polizei ist, verstehen kann, wie aufwendig es ist, das Leben eines Menschen zu untersuchen. Dass viele hundert Stunden Befragungen, Suchen in allen möglichen Registern und unendlich viel Papierkram nötig sind, ehe das Bild klar wird und das Wesentliche hervortritt.

Und dann ist da noch die Sache mit Hanne.

Irgendwie war es wohl gut, dass wir miteinander gesprochen haben, auch wenn ich eigentlich nicht so viel gesagt habe.

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