Therese by Schnitzler Arthur

Therese by Schnitzler Arthur

Autor:Schnitzler, Arthur [Schnitzler, Arthur]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Klassiker, Literatur, Österreich
veröffentlicht: 2011-04-12T23:00:00+00:00


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Im September trat sie eine neue Stellung an als eine Art von Gesellschafterin bei einem siebzehnjährigen, blassen, unscheinbaren und etwas einfältigen jungen Mädchen, der einzigen Tochter eines verwitweten und seit vielen Jahren erblindeten, ehemaligen Großkaufmanns, dem überdies zwei erwachsene Söhne, Jurist der eine, der andere Techniker, im Hause lebten. Man wohnte in einer stillen Vorstadtstraße im ersten Stockwerk eines ziemlich alten, etwas düsteren, jedoch wohlgehaltenen Gebäudes, in das manche moderne Neuerungen, wie zum Beispiel elektrische Beleuchtung, noch keinen Eingang gefunden hatten. Der Kaufmann, ein fünfzigjähriger, graubärtiger, noch stattlicher Mann, hatte Therese persönlich aufgenommen mit der Bemerkung, daß ihn ihre Stimme, ihre treue Stimme, wie er sich ausdrückte, angenehm berühre. Da seiner Tochter jede Eignung zur Führung des Haushaltes fehlte, war Therese vorzugsweise die Sorge dafür überlassen, und sie freute sich, auch nach dieser Richtung hin eine ausgesprochene Begabung in sich zu entdecken. Es ging im Hause geselliger und heiterer zu, als Therese erwartet hätte. Die jungen Herren sahen Kollegen bei sich, die Tochter Berta erhielt Besuche von Verwandten und Freundinnen; und dem alternden blinden Mann tat es offenbar wohl, einen jugendlich lebendigen, manchmal sogar ziemlich lauten Kreis um sich zu versammeln und an den Unterhaltungen teilzunehmen. Therese konnte sich hier durchaus als Gleichgestellte, ja bald wie eine Angehörige der Familie fühlen. Eine der Kusinen, ein aufgewecktes, übermütiges Ding, machte Therese zur Vertrauten einer ernsten Leidenschaft, die sie für ihren älteren Vetter, den Juristen, zu hegen behauptete. Theresen aber schien es, als gefiele dem jungen Mädchen der andere Bruder oder auch ein gewisser blonder junger Mensch in Freiwilligenuniform, der öfters ins Haus kam, mindestens ebensogut als der angeblich heißgeliebte Vetter. Sie verspürte eine eifersüchtige Regung, die sie sich um so weniger eingestehen wollte, als sie sich geschworen hatte, sich niemals wieder in aussichtslose Beziehungen einzulassen. Sie war es endlich müde, in der Welt herumgestoßen zu werden; sie sehnte sich nach Ruhe, nach Heimat, nach einer eigenen Häuslichkeit. Warum sollte ihr nicht zufallen, was so manche andere Frauen in ähnlicher Stellung und mit weniger innerem und äußerem Anrecht ohne besondere Mühe erreicht hatten? Erst neulich hatte eine ihrer Berufsgenossinnen, ein dürftiges, fast verblühtes Wesen, einen wohlsituierten Buchhalter geheiratet; eine andere, noch dazu eine Person von ziemlich schlechtem Ruf, einen wohlhabenden Witwer, in dessen Haus sie Erzieherin gewesen war. Dergleichen sollte ihr nicht glücken? Ihr Bub konnte und durfte kein Hindernis sein. Es war ja am Ende doch gerade so, als wenn sie einmal verheiratet gewesen und nun geschieden oder Witwe geworden wäre. Herr Trübner war zwar nicht mehr jung und überdies des Augenlichtes beraubt, doch er war ein stattlicher, fast schön zu nennender Mann, und es war nicht schwer zu merken, daß ihre Nähe ihm wohl tat. Er ließ sich gerne von ihr vorlesen, meist aus philosophischen Schriften, was ihr zuerst einige Langweile verursachte, bis er ihr, sie durch freundliche Fragen immer wieder unterbrechend, allerlei zu erklären, ja gewissermaßen zusammenhängende Vorträge zu halten begann und so in ihr Verständnis und Interesse für eine ihr im allgemeinen recht fernliegende Gedankenwelt zu erwecken glaubte. Manchmal in zarter Weise, versuchte er, sie über ihre Vergangenheit auszuholen.



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