Sterben: Roman (German Edition) by Knausgård Karl Ove

Sterben: Roman (German Edition) by Knausgård Karl Ove

Autor:Knausgård, Karl Ove [Knausgård, Karl Ove]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Random House DE
veröffentlicht: 2011-04-20T22:00:00+00:00


Zum ersten Mal seit Yngves Anruf sah ich ihn vor mir. Nicht den Mann, der er in den letzten Jahren war, sondern den Menschen, der er in meiner Kindheit gewesen war, als wir ihn zur Seeseite der Insel Tromøya begleiteten, um im Winter fischen zu gehen, als uns der Wind um die Ohren pfiff und die Gischt von den gewaltigen, grauen Wellen, die an den Felsen unter uns zerschellten, in der Luft hing und er mit der Angel in der Hand neben uns stand und die Schnur einholte, während er uns anlachte. Dichte, schwarze Haare, ein schwarzer Bart, das leicht asymmetrische Gesicht von kleinen Wassertropfen bedeckt. Blaue Öljacke, grüne Gummistiefel.

Das war das Bild.

Typisch, dass ich ihn in einer jener Situationen vor mir sah, in denen er gut war. Dass mein Unterbewusstsein eine Szene auswählte, in der ich warme Gefühle für ihn hegte. Es war der Versuch einer Manipulation, deren Ziel es offenkundig war, der Sentimentalität des Irrationalen den Weg zu ebnen, die, sobald Tür und Tor geöffnet waren, vollkommen ungehemmt aufwallen und Besitz von mir ergreifen würde. So arbeitete das Unterbewusstsein, es sah sich wahrscheinlich als eine Art Korrektiv zum Denken und Wollen und unterstützte alles, was möglicherweise in Opposition zur herrschenden Vernunft stand. Aber Vater hatte bekommen, was er verdient hatte, es war gut, dass er tot war, die Kräfte in mir, die etwas anderes sagten, logen. Und das galt nicht nur für den Menschen, der er in meiner Kindheit gewesen war, sondern auch für den Menschen, zu dem er später wurde, als er mitten im Leben aus allen alten Zusammenhängen ausbrach und von vorne anfing. Denn er hatte sich verändert, auch in seiner Annäherung an mich, aber das nützte ihm nichts, denn mit dem Menschen, zu dem er wurde, wollte ich auch nichts zu tun haben. In jenem Frühjahr, in dem er ausbrach, hatte er angefangen zu trinken, und den Sommer über machte er weiter, es war alles, was die beiden taten, Vater und Unni, sie saßen in der Sonne und tranken an langen, schönen, betrunkenen Tagen, und als das neue Schuljahr begann, ging es so weiter, allerdings nur nachmittags und abends und an den Wochenenden. Sie zogen nach Nordnorwegen und arbeiteten dort gemeinsam an einer Schule, und damals ahnten wir allmählich, was mit ihm los war, denn als wir einmal mit dem Flugzeug kamen, um sie zu besuchen, Yngve, seine Freundin und ich, holte Vater uns mit dem Auto ab, war aber blass, und seine Hände zitterten, und er sagte fast nichts, und als wir in ihre Wohnung kamen, leerte er in der Küche hintereinander drei Flaschen Bier und erwachte dadurch zum Leben, zitterte nicht mehr, nahm uns wahr, begann zu reden, trank weiter. An diesen Tagen, in den Weihnachtsferien, trank er die ganze Zeit, betonte jedoch, es seien schließlich Ferien, da könne man ruhig mal einen heben, vor allem hier oben, wo es den ganzen Winter über so dunkel war. Unni war damals schwanger, so dass er alleine trank. In dem Frühjahr war er Prüfer an



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