Sterben lernen by Fee Katrin Kanzler

Sterben lernen by Fee Katrin Kanzler

Autor:Fee Katrin Kanzler [Kanzler, Fee Katrin]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Frankfurter Verlagsanstalt
veröffentlicht: 2016-07-22T00:00:00+00:00


Wüstensonnenklar

Erdbeersträucher, Bambus, Rosen, Kapuzinerkresse, Joe nahm wie üblich den Hintereingang in die Großgärtnerei, zwischen den Beeten und Glashäusern durch, an den Kunststoffteichen vorbei. Ein breiter Mann mit Strohhut kam ihr entgegen, Pavel, der seit fünfzehn Jahren hier arbeitete, drückte ihr eine bereits fertiggepackte Kiste mit Stiefmütterchen, Efeu und Sternmoos in die Hand. Sie solle noch bei der Chefin vorbeischauen. Veilchen, Palmwedel, Eimer voller Schnittblumen, weiter hinten drei weiße Anthurien, Frau Süßmann legte Farn und Bindebast beiseite, als Joe das Geschäft betrat, reichte dem Mädchen einen Zettel. Jemand habe angefragt, da gebe es ein frisches Grab zu versorgen. Feuertulpe, Tigerlilie, Joe ließ sich nichts anmerken, obwohl ihr Herz staccato pochte. Sie zögerte den Moment des Hinunterblickens auf Frau Süßmanns Handschrift hinaus, es sterben ständig Leute, Dutzende anderer Familien könnten angefragt haben, Senf, Blutblume, Teufelskralle. Aber Joe wusste bereits, welcher Name neben der Telefonnummer stand.

Der Geruch von Leder, Buchenholz und Hartwachsöl, außerdem das Rascheln von Papier. Eine junge Birmakatze, allenfalls vier Monate alt, zerfetzte eine Zeitung. Cremefarbener Nepalteppich, eine Strahlenaralie neben der Terrassentür.

Erst realisierte Henry nicht, der Katze wegen, dass er zu Hause war, Heineweg sechzehn. Julia spielte mit der Katze. Der Mann folgte den neckenden, streichelnden Händen des Mädchens, den tollpatschigen Bewegungen des Tieres. Seine strumpfsockige Tochter, so oft scheu und verschlossen, lächelte.

'Hausaufgaben schon fertig?'

Henrys Frau saß über einen Stapel Briefe gebeugt. Sortierte sie in zwei Aktenordner, blätterte in beiden zugleich. Sie trug ihr Haar hochgesteckt, Haarnadeln, Goldspange, las, blätterte, rieb sich wieder und wieder die Wange, als gäbe es dort etwas wegzuwischen. Zwischendurch griff sie nach einer Tasse Früchtetee. Julia reagierte nicht, spielte weiter mit der Katze.

Bettina roch anders als gewohnt, parfümierter, künstlicher. Henry suchte das Datum auf dem Schriftstück, das sie gerade einordnete. Erschrak, dass schon wieder Wochen vergangen waren. Er hatte kein Zeitgefühl mehr. Ein Moment, eine Ewigkeit, es war dasselbe. Er versuchte, das Dokument weiter zu entziffern, und wurde von Bettinas feinen Nackenhärchen abgelenkt, von ihren kräftigen Schultern, von dem ungewohnten Duft.

Im Radio lief Alice Cooper, leise gedreht, dann die Beatles. It’s been a hard day’s night, John Lennon krächzte im Flüsterton. Die Katze machte einen waghalsigen Hopser, Bettina rieb sich die Wange. Die weiße Anthurie stand nicht mehr im Schlafzimmer, war mitten auf den Esstisch gewandert. Die Lieblingsblume seiner Frau, früher ein simpler Zimmerschmuck, kam Henry jetzt vulgär vor. Er betrachtete den kolbenförmigen Blütenstand und die fleischige Spatha mit einem gewissen Widerwillen. Zu ordinär für einen Esstisch zumindest.

Es klingelte an der Haustür. Julia machte ein paar Schritte in den Flur, blieb in einiger Entfernung stehen und spähte durch das Ornamentglas. Bettina ging an ihr vorbei, öffnete. Vor der Tür, Henry wusste es, bevor sie aufschwang, stand eine schmale Gestalt, ein kleiner Zottelkopf, das Mädchen in Gärtnerhosen. Joe streckte Frau Einstein artig die Hand entgegen, hatte wider Erwarten einen kräftigen Händedruck.

Während Bettina die junge Grabpflegerin zur Wohnzimmercouch geleitete, musterte Julia die ehemalige Schulkameradin aus sicherer Distanz. Joe zog eine Mappe aus ihrer Umhängetasche, ein Faltblatt, anhand dessen sie verschiedene Grabgestaltungen und Angebote erklärte.



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