Maschinen wie ich by Ian McEwan

Autor:Ian McEwan
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fantasy, Science Fiction, alternative Realität
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 2019-05-21T22:00:00+00:00

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Kurze Zeit, nachdem ich meine Laufbahn als Steueranwalt unfreiwillig aufgeben musste, gründete ich mit zwei Freunden eine Firma. Wir wollten romantische Wohnungen in Rom und Paris zum Ortspreis kaufen, renovieren, mit antikem Mobiliar aufwerten und sie dann an reiche, kulturbewusste Amerikaner verkaufen oder an Agenturen, die sie ihrerseits dann weiterveräußerten. Nicht gerade der schnellste Weg zur ersten Million. Die meisten kultivierten Amerikaner waren nicht reich. Und die, die es waren, teilten kaum unseren Geschmack. Die Arbeit war schwierig und anstrengend, vor allem in Rom, wo wir erst lernen mussten, welche Beamte man in der Stadtverwaltung bestechen musste und wie. In Paris machte uns die Bürokratie mürbe.

An einem Wochenende flog ich nach Rom, um ein Geschäft abzuschließen. Diesem spezifischen Kunden war es wichtig, dass ich in seinem edlen Hotel abstieg, einem Traditionshaus oberhalb der Spanischen Treppe. Der Kunde bewohnte dort eine prachtvolle Suite. Ich kam an einem Freitagabend in der Stadt an, verschwitzt und erschöpft von der Fahrt im überfüllten Flughafenbus. Mit Jeans, T-Shirt und einer billigen norwegischen Airline-Tasche über der Schulter betrat ich den schönen Empfangsbereich. Wie es der Zufall wollte, stand der Hoteldirektor neben der Rezeption. Er hatte nicht auf mich gewartet – dafür war ich nicht wichtig genug, ich schneite nur zufällig in eben diesem Augenblick herein, doch da er ein höf‌licher Herr war, elegant gekleidet und korrekt, hieß er mich auf Italienisch herz‌lich in seinem Hotel willkommen. Ich verstand nur zum Teil, was er sagte. Seine Stimme klang ausdruckslos, variierte kaum in der Höhe, und mein Italienisch war schlecht. Vom Empfang kam jemand herüber und erklärte, der Direktor sei von Geburt an taub, spreche aber neun Sprachen, vor allem europäische. Seit seiner Kindheit beherrsche er das Lippenlesen, doch könne er meine erst lesen, wenn ich ihm verriete, in welcher Sprache ich spreche. Ansonsten könne er mich nicht verstehen.

Der Direktor ging seine Liste durch. Norwegisch? Ich schüttelte den Kopf. Finnisch? Eng‌lisch kam erst an fünf‌ter Stelle. Er sagte, er hätte schwören mögen, dass ich aus Skandinavien stamme. Und so konnte unsere – freund‌liche, letzt‌lich jedoch belanglose – Unterhaltung beginnen. Theoretisch aber stand uns nun eine ganze Welt offen, und eine einzige kleine Information hatte sie erschlossen. Ohne sie wäre seine große Begabung nutzlos gewesen.

Mirandas Geschichte war auch so eine Art Schlüssel. Unsere Unterhaltung, letzt‌lich unsere Liebe, konnte nun erst richtig beginnen. Mirandas Geheimniskrämerei, ihr häufiges Verstummen und Sich-Zurückziehen, ihre Distanziertheit, dass sie älter wirkte, als sie war, selbst in zärt‌lichen Momenten oft abwesend schien, das alles war Ausdruck ihrer Trauer. Es schmerzte mich, dass sie diesen Kummer allein er‌tragen hatte. Ich bewunderte ihre Kühnheit, ihren Mut zur Rache. Sie hatte einen gefähr‌lichen Plan konzentriert und mit fulminanter Missachtung der mög‌lichen Konsequenzen in die Tat umgesetzt. Ich liebte sie dafür umso mehr. Und ich liebte ihre arme Freundin. Ich würde alles tun, um Miranda vor Gorringe, diesem Scheusal, zu beschützen. Und es rührte mich, dass ich der Erste war, der ihre Geschichte erfuhr.

Sie zu erzählen, war auch für Miranda eine Befreiung. Eine halbe Stunde später, als wir allein im Schlafzimmer waren, schlang sie einen Arm um meinen Hals, zog mich zu sich und küsste mich.

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