Spiegel und Licht by Hilary Mantel

Spiegel und Licht by Hilary Mantel

Autor:Hilary Mantel [Mantel, Hilary]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783832184902
Herausgeber: DUMONT Buchverlag


III

Auf dem Körper zerbrochen

London, Herbst 1537

Was ist ein Frauenleben? Denke nicht, weil sie kein Mann ist, kämpft sie nicht. Das Schlafgemach ist der Turnierplatz, auf dem sie ihre Farben zeigt, und ihr Kriegsschauplatz der Raum, in dem sie ihre Kinder gebiert.

Sie weiß, dass sie diesen blutigen Ort vielleicht nicht lebend verlassen wird. Wenn sie klug ist, ordnet sie ihre Angelegenheiten, bevor sie ihn betritt. Stirbt sie, wird sie betrauert und vergessen. Stirbt das Kind, gibt man ihr die Schuld. Überlebt sie, muss sie ihre Wunden verbergen. Sie sind ein Geheimnis, und ihre Schwestern sprechen nur hinter vorgehaltener Hand darüber. Es ist Evas Sünde, die zu dieser andauernden Bestrafung geführt hat, von innen an ihr zerrt und sie zerreißt. Während wir einen alten Soldaten segnen, ihm Almosen zustecken und seinen blinden, verstümmelten Zustand bemitleiden, erklären wir im Kampf der Geburt zerschundene Frauen nicht zu Heldinnen. Wenn sie so schwer verletzt scheinen, dass sie keine Kinder mehr bekommen können, bemitleiden wir ihre Männer.

An den langen Sommertagen, bevor ihre Abschirmung beginnt, spaziert Jane durch den privaten Garten der Königin. Alle Spuren Anne Boleyns, die vor ihr in ihren Gemächern gewohnt hat, sind ausgelöscht, und es wurde eine neue Galerie gebaut, um Janes Räume mit dem königlichen Kinderzimmer zu verbinden. Janes Zustand kann in keiner Weise mit dem von Lady Lisle verglichen werden. Das Wesen in ihr lebt und bewegt sich. Es dreht sich und zuckt, und fast kann man hören, wie es sich beschwert: Ich sitze hier eingeklemmt unter den Röcken meiner Mutter, während die Bäume draußen voll im Saft stehen und die Menschen über den Rasen flanieren.

Wenn sich der Tag der Niederkunft nähert, würde eine Frau ein Vermögen für einen Faden aus Marias Mieder zahlen. Während der Wehen steckt sie sich Gebete an ihr Nachthemd, Gebete, die ihre Mutter und ihre Großmütter erprobt haben. Ist das Nachthemd blutgetränkt, klebt die Hebamme das Papier auf die Haut ihres todgeweihten Leibes, oder sie bindet es ihr ans Handgelenk. Die schwitzende Frau trinkt Wasser aus einem Krug, über dem ihre Freundinnen die Allerheiligenlitanei rezitiert haben. Die Muttergottes wird helfen, wenn es die Hebammen nicht können. Eva hat uns ruiniert, aber Maria, die Schmerzensreiche, verhilft uns zur Erlösung: Sie ist die Perle ohne Preis, die Rose ohne Dornen.

Als Maria ihren und unseren Erlöser geboren hat, hat sie da wie andere Mütter gelitten? Die Geistlichkeit ist unterschiedlicher Meinung, aber Frauen glauben, ja, das hat sie. Sie denken, sie kennt die schweren, bangen Stunden, trotz unbefleckter Empfängnis und jungfräulicher Schwangerschaft: selbst dann noch Jungfrau, als die Erlösung in einem unheiligen Flüssigkeitsstrom aus ihr hervorbrach. Hinterher wurde Maria wieder verschlossen, fest abgedichtet gegen männliches Eindringen. Und wurde doch zu der Quelle, aus der die ganze Welt trinkt. Sie schützt vor der Pest und lehrt die Hartherzigen zu fühlen, die Trockenäugigen, eine Träne zu vergießen. Sie bemitleidet die Seeleute, die in den salzigen Wellen landen, und rettet sogar Diebe und Unzüchtige vor Bestrafung. Sie kommt zu uns, wenn wir nur noch eine Stunde zu leben haben, und warnt uns, unsere Gebete nicht zu vergessen.



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