Scheintod - Roman by Insel Verlag

Scheintod - Roman by Insel Verlag

Autor:Insel Verlag
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Insel Verlag
veröffentlicht: 2014-02-26T05:00:00+00:00


DER SIEBENTE TAG

Die Gruppe

Nach einer schweißfeuchten, traumbeirrten Nacht war sie am Morgen dankbar für das Problem mit der Tasche. Tote machen immer ein schlechtes Gewissen, und nicht jeder Hinterbliebene hat das Glück einer solchen Wiedergutmachung. Sie wußte, daß sie da wirklich eine Arbeit vor sich hatte, einen unwiderruflichen Schritt ins Erwachsensein. Sie mußte sich mit der Entscheidung beeilen.

Nicht zu sehr, denn im Keller, da war sie sicher, schlief das Problem erst einmal ungestört. Die Gegner wußten nichts. Sonst hätten sie schon den Todestag zum Suchen benutzt, und damals wären sie auf keinerlei Abwehr gestoßen. Statt dessen hatten sie sich ihre Neugier auf Akten nicht verkneifen können, hatten geschnüffelt und nichts gefunden, jedenfalls nichts Wichtiges, denn das wirklich Wichtige war nicht in den Akten zu finden. Auch nicht im Keller. Das waren alles nur Fäden, Fäden, deren Enden noch immer in den Händen des Mannes lagen. Aber seine Hände bewegten sich nicht mehr und mit ihnen auch nicht die Geschichten, in deren Mittelpunkt er gestanden hatte. Sie nahm ihm jetzt eine nach der anderen ab, rollte sie auf, brachte sie zu einem Ende. Sie rief nicht mehr nach dem Rat und der Hilfe ihres Mannes. Ihr Geflüster in seine Richtung hatte aufgehört, nicht weil sie das Schweigen auf der anderen Seite entmutigte, sondern weil sie das Gefühl hatte, er schwiege aus Takt, weil er sie nicht daran hindern wollte, ihre Kraft auszuprobieren.

Sie hatte an diesem Tag viel zu tun, beeilte sich mit dem Gang zur Anwaltskammer und mit den Karten, die sie nun endgültig zur Post brachte. Aber ihr wichtigstes Ziel war es, die Tasche zu öffnen. Würde sie den Requisiten des Kampfes, wirklichen Gegenständen begegnen? Davor fürchtete sie sich, weil sie es für möglich hielt, daß sie die Gruppe, die sie bisher noch, wenn auch verwirrt und aus einiger Entfernung, respektiert hatte, danach hassen würde.

Das wäre ein Verlust, sagte sie, nicht zu ihrem Mann, der noch immer in ihrer Nähe schwieg. Irgendwie wär das ein Verlust, sagte sie zu sich.

Für alles, was am Anfang passiert war, vom Brand im Kaufhaus bis zum Bankraub, gab es Straftatbestände. Warum also hatte keiner von diesen Politikern gelacht, wenn er hörte, daß ihnen von jetzt ab eine Guerilla, eine kämpfende Truppe den Bewaffneten Proletarischen Kampf ansagte? Keiner hatte gelacht. Es war im Gegenteil, als ob alle drauf gewartet hätten, daß sich endlich was tut. Als ob die Krisenstäbe und Sonderkommissionen sie aus lähmender, kriegsloser Langeweile geholt hätten. Im Fernsehen konnte man sehen, daß die Politiker anders gingen, wichtiger, elastischer, mehr und mehr umgeben von einem Kordon wildwestlich aussehender Sicherheitsbeamter. Keiner von ihnen wäre auf die Idee gekommen, sich öffentlich als ungefährlich zu bezeichnen, auf die Absurdität einer Guerilla in einem übersichtlichen, netten, langweiligen Land hinzuweisen. Die Guerilla zeigte ihnen, daß sie gefährlich waren. Und sie waren es gern.

Dieser geheimnisvolle Körper der Gruppe, jeder einzelne von ihr von unerschütterlicher Einsamkeit, war ein Gegner ohne jede Komik. Es wäre von Freund und Feind als schlimmes Sakrileg empfunden worden, wenn man nach den eigentlichen Ergebnissen gefragt hätte. Die Frau wußte, daß der Mann auch manchmal so gedacht hatte.



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