Schattendasein by Elizabeth Fleckenstein / Michael Albus

Autor:Elizabeth Fleckenstein / Michael Albus [Fleckenstein, Elizabeth / Albus, Michael]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 39783766643100
Herausgeber: Butzon & Bercker
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00

Den Traum habe ich immer noch

Bubakar, 17 Jahre alt, aus Gambia

Bubakar habe ich drei Monate lang in einer Inobhutnahme betreut. Damals waren in dieser Einrichtung, die eine Aufnahmekapazität für zwanzig Jugendlichen hatte, mindestens vierzig Minderjährige.

Die meisten haben in einem Saal gemeinsam auf Matratzen geschlafen.

In der Nacht kam öfters die Polizei vorbei und brachte uns einen neuen Minderjährigen, der dann bei uns registriert worden ist.

Bei den Kindern war noch keine Gesundheitsuntersuchung durchgeführt worden. Wir hatten sogar ein paar Fälle mit offener Tuberkulose.

Im Team waren wir nur fünf Mitarbeiter, die in Tag- und Nachtschichten garantieren mussten, dass die Jugendlichen gut versorgt waren.

Die Personalsituation war absolut schlecht. Wir mussten Überstunden um Überstunden machen. Es war eine harte Zeit.

Bei so vielen Jugendlichen aus höchst verschiedenen Herkunftsländern, besonders bei solchen, die schwer traumatisiert waren, kam es sehr schnell zu gewalttätigen Auseinandersetzungen.

Außerdem gab es in dieser Zeit große Spannungen zwischen den arabisch sprechenden Minderjährigen und denen aus den afrikanischen Ländern.

Wir hatten auch einen Minderjährigen aus Libyen bei uns, der Kindersoldat war. Alle anderen Jugendlichen konnten ihn nicht ausstehen, weil viele in Libyen gefoltert und unmenschlich behandelt worden sind.

Die Situation war ausgesprochen schwierig. Wir hatten oft mehrmals täglich Polizeistreifen in der Einrichtung.

Als ich im August 2016 die Einrichtung wieder besucht habe, hatte sich die Lage eindeutig verbessert. Die ehemalige Inobhutnahme war zu einer Wohngemeinschaft von acht Jugendlichen geworden. Die dagebliebenen Minderjährigen konnten sich erholen und konnten schon gut Deutsch sprechen. Und für die Mitarbeiter war eine pädagogische Arbeit wieder möglich.

Man konnte das Aufblühen und die Entwicklung der Minderjährigen bemerken.

Mit Bubakar, einem von ihnen, habe ich gesprochen.

EF

Bubakar, wo sollen wir anfangen?

Bubakar (in der Folge B)

Vom Anfang an. – Ich bin in Gambia geboren und auch dort aufgewachsen. Als ich vier Jahre alt war, haben sich meine Eltern getrennt. Meine Mutter verließ uns und siedelte in den Senegal über. Mein Vater hatte ein Schuhgeschäft, und ich half ihm bei der Arbeit. Wir hatten ein gutes Leben.

Ich besuchte auch eine Schule. Doch in den letzten Jahren meiner Schulzeit musste ich aufhören, weil wir das Schulgeld nicht mehr zahlen konnten.

EF

Hast du Geschwister?

B

Ja, aber es sind alle Halbgeschwister, Kinder meiner Mutter. Mein Vater hatte damals auch Halbgeschwister. Leider waren sie sehr böse und rücksichtslos zu meinem Vater. Sogar die Söhne der Halbgeschwister haben mich immer wieder zusammengeschlagen. Es war sehr hart für uns.

Diese schwierigen Familienverhältnisse wurden von Tag zu Tag gefährlicher. Aus diesem Grund beschloss mein Vater eines Abends und sagte: „Morgen werden wir Gambia verlassen!“ – Er sagte mir nur, dass wir Gambia verlassen mussten. Er sagte mir aber nicht, wo wir hingehen würden. Er meinte, dass unser Leben viel zu wertvoll ist, um hier in Unsicherheit zu leben.

EF

Das war im Jahr 2013?

B

Genau. Das war im Juli 2013. Unsere Reise ging von Gambia aus zuerst in den Senegal.

EF

In Gambia gab es ja zu dieser Zeit eine Diktatur. War das auch ein Grund dafür, dass ihr geflüchtet seid?

B

Nein. Politisch gesehen, mit dem Staat, hatten wir keine Probleme. Wir verließen Gambia aus familiären Gründen. Als mein Vater mir dies an jenem Abend gesagt hat, war ich etwas verwirrt.

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