Sammlung 1898-1928 by Mühsam Erich
Autor:Mühsam, Erich
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: (Privatkopie)
veröffentlicht: 2010-02-03T05:00:00+00:00
»Der zweiten Keuschheit
köstliche Müdigkeit ruht
in dem wieder
niedergeschwiegenen Blut,
bis des Lebens innige Anmut
wieder höhersteigende Kräfte gewinnt
und weiter sich spielt
nach des Lebens lieblicher Weise.«
Ich zitiere diese Zeilen nicht als letzte Höhe seines dichterischen Könnens; nur als Probe der innigen Keuschheit seines Empfindens und als Beispiel für die tiefe innere Gereimtheit seiner Worte.
Schönheit war Peter Hille alles; und Schönheit, Dichtung und Leben war ihm Eins. Und doch sah er auch die grausamen Abgründe, an deren Rand man ihn stieß. Und doch kannte auch er Minuten der Bitterkeit, in denen er der Häßlichkeit Worte gab. Wie schmerzlich ist dieser Aphorismus:
»Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Wer nicht arbeitet, soll speisen; wer aber gar nichts tut, darf tafeln.« Wie übel mußte man diesem Dichter erst mitspielen, ehe er solchen Satz fand. Wie oft stritt ich mit ihm über den Wert der Menschen Oi tleistoi kakoi –: er wollte es nicht glauben, nicht sehen. Einmal schrieb er mir, als ich wütend gewesen war, weil ihn Leute in einem Kabarett verspottet hatten: »Ärgere Dich doch nicht über die Bande; lache doch über sie.« Zu kränken war er nicht.
Vielleicht hat er recht gehabt. Dem Künstler unserer Zeit, dem Fremden, Leidenden bleiben nur zwei Möglichkeiten, sich abzufinden. Einer kämpft an gegen die Frevel der menschlichen Ordnungen, baut sich ein Ideal der Wirklichkeit, wird Sozialist und Anarchist und hofft auf die Tage, die keinen Hunger mehr kennen werden und keine Not des Leibes. Er stellt sich bewußt in Gegensatz zur Gesellschaft, verbündet sich den Ausgestoßenen und Benachteiligten und eint seine Empfindungen zum Gefühl des Hasses gegen Staat und Gesellschaft, in dem Wunsch nach Rache. Der andere geht, wie Peter Hille, still seines Weges, liebt Leben und Liebe und dichtet Schönheit in die Menschen, die ihn verhungern lassen ...
Noch ist nicht die Zeit, Anekdoten von Peter Hille zu erzählen. Erst mag die Welt die Augen öffnen für das Vermächtnis, das er hinterlassen hat. Nur eine kurze Episode will ich berichten. Vielleicht wird mancher mehr darin finden als eine Anekdote. Wir waren zusammen im Lesezimmer der Neuen Gemeinschaft. Peter Hille hatte sein Notizbuch vor sich liegen und den Bleistift in der Hand. Der Kopf lag ihm schwer auf der Brust. Nach langem Schweigen blickte er plötzlich auf, legte die Hand feierlich auf den Tisch und sagte ernst und stark: »Eben habe ich den Sinn meines Lebens gefunden. Ich bin: also ist Schönheit.«
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