Russland verstehen by Krone-Schmalz Gabriele

Russland verstehen by Krone-Schmalz Gabriele

Autor:Krone-Schmalz, Gabriele [Krone-Schmalz, Gabriele]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406675263
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2015-03-03T16:00:00+00:00


5. Kapitel

Die Ukraine, Russland und der Westen

Im Dezember 1991 erklärte sich die Ukraine im Zuge der Auflösung der Sowjetunion für unabhängig. Wohin sollte sie sich wenden? Nach Westen, wo der Wohlstand zu liegen schien? Nach Russland, wohin die Bindungen aus den letzten Jahrhunderten wiesen und das durch die russische Sprache und eine starke russische Minderheit in der Ukraine verankert war? Musste sie überhaupt zwischen diesen beiden Optionen wählen? Angesichts ihrer Geschichte, ihrer inneren Zerrissenheit und ihrer geostrategischen Lage wäre es sicher besser für das Land gewesen, wenn ihm diese Entscheidung erspart geblieben wäre. Letztlich hätte die Ukraine nur dann eine Chance auf eine friedliche Entwicklung gehabt, wenn es ihr gelungen wäre, eine Art Brückenfunktion zwischen Ost und West einzunehmen und sich dem Gezerre zu entziehen, das unmittelbar nach der Unabhängigkeit von allen Seiten einsetzte. Dass sich dabei die Motive auf keiner Seite in selbstloser Menschenfreundlichkeit erschöpften, muss nicht ausdrücklich betont werden.

Seit wann gibt es «die» Ukraine? Auf diese einfache Frage fällt eine einfache Antwort schwer, was Teil des aktuellen Problems ist. Denn selbst innerhalb des Landes ist die Antwort umstritten. Ein Blick in die Geschichte: Ausgerechnet die Hauptstadt Kiew ist mit der Geburtsstunde des Russischen Reiches untrennbar verbunden. Im Jahre 882 entsteht die Kiewer Rus, die erste aktenkundige Staatengründung auf diesem Territorium. Über Jahrhunderte hinweg wechselte das Gebiet der heutigen Ukraine zwischen den angrenzenden Mächten hin und her. Seit den Teilungen Polens (1772–1795) gehörte das katholisch geprägte westliche Randgebiet zu Österreich-Ungarn, der orthodoxe Rest zum Russischen Zarenreich, das sich im Laufe des 18. Jahrhunderts auch das lose mit dem Osmanischen Reich verbundene Khanat der Krimtataren im Süden der heutigen Ukraine einverleibt hatte.

Wann genau sich die Ukrainer selbst als eine eigene ethnische Gemeinschaft bzw. eine Nation sahen, ist umstritten. Erste Ansätze gehen wohl bis ins 16. Jahrhundert zurück. Allerdings ist wichtig zu wissen, dass das Gebiet der heutigen Ukraine nie ausschließlich von Menschen bewohnt wurde, die sich als Ukrainer begriffen. Aufgrund seiner geographischen Lage und seiner wechselvollen Geschichte gab es dort immer starke ethnische sowie religiöse Minderheiten, seien es Russen, Polen, Deutsche, Rumänen, Tschechen oder Juden und Muslime.

Nach der Oktoberrevolution und dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns am Ende des Ersten Weltkriegs bildeten sich kurzzeitig eine Westukrainische Volksrepublik auf dem ehemals habsburgischen Territorium und eine Ukrainische Volksrepublik aus der Konkursmasse des Russischen Reiches. Beide wurden jedoch von Begehrlichkeiten der im Entstehen begriffenen Sowjetunion, von Polen, Rumänien und auch der Tschechoslowakei bedrängt. Im polnisch-sowjetischen Krieg rückten polnische Truppen zeitweilig bis nach Kiew vor, doch musste sich Polen schließlich mit dem Gebiet der Westukrainischen Volksrepublik zufriedengeben.

Der größere Teil der heutigen Ukraine wurde im Dezember 1922 zur Sowjetrepublik, in der durch die Zwangskollektivierung unter Stalin und Hungersnöte Anfang der zwanziger (1921–1923) und Anfang der dreißiger Jahre (1932–1933) Millionen von Menschen elend zu Grunde gingen. Als Hitler und Stalin Polen 1939 unter sich aufteilten, wurden dann auch die bislang zu Polen gehörenden westukrainischen Gebiete der Sowjetunion zugeschlagen.

Im Zweiten Weltkrieg geriet die Ukraine größtenteils unter deutsche Verwaltung, und etwa zwei Millionen Menschen wurden zur Zwangsarbeit «ins Reich» verfrachtet. Diese



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