Reportage Iran by Carola Hoffmeister

Reportage Iran by Carola Hoffmeister

Autor:Carola Hoffmeister [Hoffmeister, Carola]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien
veröffentlicht: 2015-12-17T16:00:00+00:00


Paradiesvogel unter Raben

Roxana fällt auf

»Kommt her!«, ruft Roxana einem Touristenpärchen aus Deutschland hinterher, das an einem kleinen Kebab-Laden im Zentrum von Teheran vorbeischlendert. Die Fünfundzwanzigjährige winkt das Paar mit einer Puderquaste in der Hand zu sich heran. Roxana fällt auf. Ihr Gesicht ist geschminkt wie das einer japanischen Geisha. Einen bonbonfarbenem Kussmund und grelle Rotkäppchenwangen hat sie sich gemalt. In ihrem Pony glitzert silbernes Haarspray.

Roxana tritt aus dem Laden heraus in die gleißende Sonne. Dreht sich vor den Touristen wie eine Eisprinzessin. Ihr Glockenrock mit bunten Troddeln am Saum schwingt um ihren Körper. »Ihr seid die ersten Menschen, die sich für mich interessieren«, sagt sie, klimpert mit den fliegenbeinlangen Wimpern und nimmt die Hand der Ausländerin, als suchte sie eine Verbündete. Roxana ist ein Sheboy, ein Mädchenjunge. In einem Land, in dem sich Frauen verschleiern müssen und laut Verfassung halb so viel wert sind wie ein Mann, hat sie sich umoperieren lassen. Vom Mann zur Frau. Jährlich wechseln ungefähr vierhundertvierzig Iraner das Geschlecht. Nur in Thailand ist diese Zahl höher. Roxana hieß früher Arash. Nun steht »Roxana« in ihrem Ausweis. Ein altpersisches Wort für Morgenröte. Roxana mag ihren Namen. »Er klingt nach Neuanfang und Aufbruch«, sagt sie, und ihre Stimme überschlägt sich vor Aufregung. Roxana und die Touristen betreten den Schnellimbiss. Vier Männer, die bereits bestellt haben, bilden eine Traube um Roxana und die Touristen, zwei schwarz verschleierte Frauen tuscheln. Roxana zupft ihr Kopftuch mit pink lackierten Fingernägeln zurecht und lacht, als ein Teenager in Jeans ein Handyfoto macht. Roxana liebt es, im Mittelpunkt zu stehen. Meistens jedoch meiden sie die Menschen. Ein Mann drängt sich mit seinen Einkäufen an ihr vorbei, rempelt sie versehentlich an. »Ich hätte Angst, mich mit einem Sheboy zu unterhalten«, sagt der Mann leise.

Roxanas Freund Said ist ebenfalls in dem Imbiss. Er beobachtet das Geschehen von seinem Platz am Fenster aus. Der neunundfünfzigjährige Anwalt wirkt mit weit aufgeknöpftem Hemd, Nadelsteifenanzug und übergroßer Gucci-Sonnenbrille in der Elvis-Tolle exzentrisch. Als er hört, dass der Fremde Angst vor Roxana hat, seufzt er: »Typisch. Viele vermuten, dass sie sich nur verkleidet. Dass sie biologisch ein Mann ist, keine Frau. Dann wäre sie ein Transvestit, vielleicht schwul«, sagt er. Transsexualität ist im Gegensatz zur Homosexualität, die mit dem Tode bestraft wird, legal, eine Krankenkassenleistung. Diese verblüffende Tatsache ist Fereydoo Molkara, zu verdanken, einem inzwischen neunundfünfzigjährigem Fernsehtechniker und Krankenpfleger aus Teheran, der von sich selbst sagt, er habe von klein auf gewusst, dass er im falschen Körper stecke. Eine Operation war im Iran der achtziger Jahre unmöglich. Damals ging der Staat mit Transsexuellen noch genauso um wie heute mit Schwulen: Er ließ sie foltern und hinrichten. Fereydoo Molkara war verzweifelt. Tiefgläubig und voller Angst, was aus ihm werden solle, schrieb er Ende der siebziger Jahre einen Brief an Revolutionsführer Khomeini. Als er die Einladung des Geistlichen aus seinem Briefkasten fischte, konnte er es kaum fassen: Er durfte bei der höchsten Instanz des Landes vorsprechen. Er stellte dem bärtigen Gelehrten eine einzige Frage: »Was spricht aus Sicht des Koran gegen Transsexuelle?« Ayatollah Khomeini blätterte in der Heiligen Schrift.



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