Harlem Shuffle by Colson Whitehead

Harlem Shuffle by Colson Whitehead

Autor:Colson Whitehead
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: #ohnefolie, Betrügereien, Doppelleben, Ehrlichkeit, einfache Verhältnisse, Familiensaga, Ganoven, gesellschaftlicher Aufstieg, Harlem, Herkunft, Hotel Theresa, Machtstreben, New York, Nickel Boys, Pulitzer-Preisträger, Raubgut, Rechtschaffenheit, Schwindel, Sechziger Jahre, Soziographie, Underground Railroad
ISBN: 978-3-446-27163-0
Herausgeber: Carl Hanser Verlag Carl Hanser Verlag
veröffentlicht: 2021-04-16T00:00:00+00:00


5

Die Frau, die in der Convent Avenue 288 in der Wohnung im zweiten Stock wohnte, stand nicht im Mietvertrag. Offizieller Mieter war ein gewisser Thomas Andrew Bruce, in schmuddeligen Ecken und schlecht beleuchteten Nebenstraßen der Stadt auch bekannt als Cheap Brucie. Als der Vermieter rauskriegte, womit er seinen Lebensunterhalt verdiente, und Theater machte, ließ Cheap Brucie ihm weitere fünfzig Dollar im Monat zukommen. Das brachte ihn zum Schweigen.

Miss Laura wohnte seit drei Jahren dort und betrachtete ein Drittel der Wohnung als ganz und gar ihr Eigen. Das Vorderzimmer war fürs Geschäft, genau wie die Küche. Der Kühlschrank gab ein trostloses Brummen von sich, aber in der Küche gab es eine kleine Bar, falls man sich den Schnabel anfeuchten wollte, bevor man zur Sache kam. Der kleine Raum nach hinten hinaus, mit Blick auf den Garten, war ihr Bereich. Sie ließ niemanden über die Schwelle. Dort schlief sie, niemals unbeschwert, und dort träumte sie, und unter ihrem Bett bewahrte sie einen weißen Lederkoffer mit Andenken an ihr Vorleben auf. Im Lauf der Jahrzehnte hatte sich die Straßenseite ihrer Wohnung in leichte Schräglage gesetzt, aber ihr Zimmer war in der Waage.

Jedes Mal wenn Carney bei ihr anklopfte, zögerte er, bevor er in das Vorderzimmer trat, als kauerte jemand hinter der Tür, um ihn zu erschrecken — die Sitte oder seine Frau. Inzwischen war Laura an seine Nervosität gewöhnt. Seine Absichten waren krumm, aber er selbst war tief drinnen größtenteils ehrlich, das spürte sie. Der Mann war im Verkauf, hatte er jedenfalls gesagt. Miss Laura war auch im Verkauf und erkannte einen Gimpel, wenn sie einen sah. Er sollte ruhig schauspielern, wie er wollte, aus dem Mundwinkel reden, sie wusste, wer er war, was er wert war und auf welchen Wegen sie an ihn herankam.

Sie war ein schwieriger Fall. Er hatte bei jenem ersten Besuch nicht gewusst, wie er sie einzuschätzen hatte, und er war seither nicht schlauer geworden.

An dem Nachmittag, an dem er sie ansprach, war der Mittagsandrang vorbei, aber es war vor dem Feierabend, die Zwischenphase. Der einzige andere Kunde im Big Apple Diner war ein alter Weißer in einer gelben Windjacke, der mit dem Kopf auf dem Resopaltresen vor sich hin döste. Carney saß wieder am Fenster und schaute hinauf zu Convent Avenue 288. Sie wohnte im zweiten Stock. Die rosa Gardinen im Vorderzimmer ließen die Julisonne herein.

Die Kellnerin an jenem Tag war eine kleinere Version der üblichen unausstehlichen Kellnerin und dieser in jeder Hinsicht gespenstisch ähnlich, als würde er von Matroschkapuppen bedient — man nimmt die obere Hälfte ab, und es steckt eine weitere darin. Carney kannte einen Gauner, der ständig mit kitschigem Scheiß wie diesen Puppen, strassbesetztem Klimperkram und was nicht noch alles bei ihm im Büro aufkreuzte. Schließlich musste er dem Armleuchter sagen, er solle abhauen und sich nicht mehr blicken lassen. Dass sein Schwiegervater ihn als Teppichhändler verunglimpfte, war eine Sache, aber dass ein ganz gewöhnlicher Ganove glaubte, er handelte mit solchem Mist, war eine echte Kränkung. Die Kellnerin schnitt ihm eine Grimasse, als er um Milch für seinen Kaffee bat.



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