Religionsphilosophie (German Edition) by Martin Hailer
Autor:Martin Hailer [Hailer, Martin]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: UTB GmbH, Stuttgart
veröffentlicht: 2015-04-07T16:00:00+00:00
c) Theologische Argumente: Streitfreistellung des Glaubens oder Ablehnung der argumentierenden Theodizee?
In der jüngeren systematischen Theologie gibt es Erwägungen, Argumente aus dem Arsenal der philosophischen Theodizee mit explizit theologischen Erwägungen zu kombinieren. Dabei wird einerseits gesagt, dass es eine zureichende philosophische Rechtfertigung Gottes angesichts der Leiden nicht geben kann. Andererseits aber soll zumindest die nicht-Widersprüchlichkeit des religiösen Glaubens angesichts von Leiderfahrung gezeigt werden, auch wenn niemand durch Argumente allein vom Glauben überzeugt werden kann. Eine andere Strategie versucht demgegenüber den Nachweis, dass eine theoretische Rechtfertigung des Glaubens überhaupt nicht im Interesse der Theologie ist und dass sich unter theologischen Bedingungen die Frage von der Rechtfertigung Gottes hin zur lebenspraktischen Frage wendet, wie angesichts der Übel ein Leben in Hoffnung und Glaubenszuversicht möglich sei.
Streitfreistellung des Glaubens
Die erste Strategie beruft sich explizit auf die Klassifizierung der Übel nach G.W. Leibniz und erklärt sie für grundsätzlich überzeugend. In der Tat ist es nach ihr sinnlos, sich über das metaphysische Übel zu grämen, da es in unmittelbarer Weise zum Weltsein der Welt dazugehört. In Bezug auf die beiden anderen Arten des Übels schlägt sie eine gegenüber Leibniz in charakteristischer Weise veränderte Argumentationsstrategie vor: Es ist prinzipiell richtig und sogar unausweichlich, dass es diese beiden Arten des Übels gibt. Leibniz’ Argumentationsanspruch, anhand ihrer die Güte Gottes belegen zu wollen, wird jedoch abgewiesen. Vielmehr soll durch rationale Argumente geklärt werden, dass es zu einer akzeptablen oder sogar guten Ausstattung der Welt gehört, dass in ihr moralische und physische Übel vorhanden sind. Sie sind damit kein Beleg mehr für eine in der Welt waltende Güte Gottes – sie sind allerdings genauso wenig ein Argument gegen den Glauben an Gott und sein Wohlmeinen. Das Ziel ist also nicht mehr eine direkte Rechtfertigung Gottes angesichts der Übel, sondern eine Streitfreistellung des Glaubens: Dass moralische und physische Übel in der Welt auftreten, muss von allen denkenden Menschen akzeptiert werden. Dies Ergebnis spricht weder zwingend für den (christlichen) Glauben noch gegen ihn; sie stellen ihn zugleich aber außerhalb eines permanenten Rechtfertigungsdrucks. Die Strategien, dies zu erreichen, heißen nach ihrer Herkunft aus der englischsprachigen analytischen Philosophie (1) natural law defense und (2) free will defense. In ihrer Fassung nach dem katholischen Theologen Klaus von Stosch (*1971) gehen sie wie folgt:
(1) Ziel der natural law defense ist zu zeigen, dass es vernünftig ist, anzunehmen, dass eine Welt, in der körperliches Leid und Schmerzen auftreten, gleichwohl eine gute Welt ist. Es muss also plausibel werden, dass die uns vertraute Welt mit ihren Regelmäßigkeiten genauso wie mit ihren Veränderungspotentialen gut und akzeptabel ist, wiewohl niemand bestreiten kann, dass in dieser Welt sehr viel Leid, Krankheit und Schmerz vorkommen.
Ein direkter Weg zum Argumentationsziel wäre kaum aussichtsreich, weshalb die natural law defense den Weg über die Abweisung des Gegenteils versucht: Sie will zeigen, dass eine Welt ohne natürliche Übel nicht denkbar ist; genauer: dass dies eine Welt wäre, in der wir Menschen nicht vorkommen könnten. Natürliches Übel ist »eine Nebenfolge der Gesetzmäßigkeiten (…), die menschliches Leben ermöglichen.« (v. Stosch 56, i.O.herv.) Gelingt der Nachweis, so kann man das Leben in dieser Welt bejahen, ohne das Leid akzeptieren zu müssen.
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