Philipp der Pfeifer by Christian Waluszek

Philipp der Pfeifer by Christian Waluszek

Autor:Christian Waluszek [Waluszek, Christian]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-08-06T00:00:00+00:00


Auf dem Marktplatz zu Köln

Ich wollte zunächst nicht glauben, was ich gehört hatte, aber schließlich mußte ich einsehen, daß das tote Mädchen von Breisig meine geliebte Schwester gewesen war.

Das kürzere linke Bein und die Brandwunde auf der rechten Hand sprachen dafür und auch die Nachrichten, die wir weiter flußaufwärts in einem Ort erhielten, dessen Namen ich vergessen habe. In jenem Ort konnte sich jeder an einen Ritter namens Sforza erinnern, keiner aber an ein blindes Mädchen, das ihn begleitet haben soll. So muß Maria Enrico den Ohngesichtigen zwischen diesem Ort und Breisig verlassen haben und blind umhergeirrt sein, bis sie in den Fluß ging.

O Maria, meine geliebte Schwester, die mich so oft in meinem Kummer getröstet hat! Du warst der zärtlichste und sanftmütigste Mensch, den ich je gekannt habe! Was muß Sforza dir angetan haben, daß du dich in den Fluß gestürzt hast, um dein Leben gewaltsam zu beenden?

Er muß dir die Augen ausgestochen haben, damit du nicht wieder wie in Mainz vor einem Fackellicht erschrickst und den gottlosen Betrug aufdeckst! Aber er muß dir noch Schlimmeres angetan haben, daß du die größte aller Sünden vor Gott begangen hast. O wie sehr mußt du verzweifelt gewesen sein!

Ich bete zum Allmächtigen für dich, daß er dich vor der Hölle verschone, solltest du bei Sinnen gewesen sein, als du dich in den Fluß stürztest! Ich schwöre dem Sforza meine blutige Rache dafür, daß er dich so geschunden, dir dein Augenlicht geraubt und dich in den Tod getrieben hat! Auch jeden seiner Helfer und Helfershelfer möge meine blutige Rache ereilen!

Solches dachte ich Tag und Nacht, und bald gab es nichts anderes mehr, an das ich denken konnte.

Eines Abends jedoch – wir hatten uns gerade zur Ruhe gelegt – fühlte ich plötzlich eine große Leere in mir, nichts war mehr da. Das ständige Denken an Rache und Tod hatte mein Herz ausgebrannt, ich war zu keinem Gefühl mehr fähig. Und so sehr ich eben noch Sforza gehaßt hatte, so viel ich mir ausgemalt hatte, wie qualvoll ich ihn umbringen würde, so sehr war er mir plötzlich gleichgültig und so wenig wollte ich ihn je wieder in meinem Leben sehen. Ich verspürte eine Müdigkeit in mir, wie ich sie vorher nie gekannt hatte, es war mir völlig egal, woher ich kam und wohin ich ging.

Da begegneten wir eines Tages einer wandernden Schar, in der der Älteste nur ungefähr siebzehn Jahre, der Jüngste dagegen ganze sechs Jahre alt war. Wir erfuhren, daß das Kindervolk nach Köln zog, weil sich dort der Junge namens Nikolaus aufhielt, der die Kraft haben sollte, Wunder zu erwirken und die Menschen vor der Hölle zu retten.

»Ich bin dafür«, sagte Odo zu mir, »mit diesen Leuten nach Köln zu ziehen.«

»Das ist mir gleich«, sagte ich. »Wenn du es möchtest, können wir nach Köln ziehen. Ich habe schon in Frankfurt von jenem Nikolaus gehört. Ihn soll der Allmächtige vom Himmel aus speisen, denn er trinkt nichts, ißt nichts und lebt trotzdem.«

»Wenn er ein solcher Heiliger ist«, sprach Odo, »dann sollten wir nach Köln gehen.



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