Minelli, Michele by Wassergrab

Minelli, Michele by Wassergrab

Autor:Wassergrab
Die sprache: deu
Format: mobi
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Kapitel 12

Unterwegs hatte Ieva anhalten und sich einen wasserfesten Mascara kaufen wollen. Es war früher Samstagabend, viel Volk unterwegs. Während Scheu im Wagen vor der Drogerie wartete, klopfte ihm ein Fußgänger gehässig auf den Kofferraum. Sein Wagen auf dem Trottoir zwang alle zu einem Hindernislauf.

Nur wenige Meter weiter fuhr Scheu noch einmal rechts heran, um einen Regenschirm zu erstehen. Danach verlief die Fahrt ereignislos. Unbeschwert war sie dennoch nicht. In Scheu befanden sich zwei Seiten in Widerstreit. Die eine, die sich offenbaren wollte, und die andere, die eine solche Offenbarung gänzlich überflüssig fand. Er fühlte sich vor sich selbst ins Lächerliche gezogen und zupfte doch immer weiter an sich herum. Für einen bösartigen Augenblick war er sogar versucht, eine Extrakurve einzulegen, nur um noch einmal über sein Vorhaben nachzudenken. Um überhaupt: nachzudenken. Aber genau das wollte ein anderer Teil verhindern. Der Teil, der Instinkt vor Verstand setzte, der das Unwillkürliche dem Willkürlichen vorzog. Der geschehen ließ, was der andere blockierte.

Kurz vor der Stadtgrenze, nur wenige Meter bevor das Zürcher Seebach-Quartier in das Rümlanger Lettenquartier mündete, verringerte er das Tempo. Dort, wo wenig hinter einer Tankstelle ein Glaskasten auf einem Holzpfosten thronte, bog er rechts auf ein Parkareal ein. Es dunkelte zwar schon, aber in der Peripherie seines Gesichtsfeldes erkannte er, dass in dem Glaskasten ein Miniatur-Planwagen stand mit einem weiß gewandeten, grell geschminkten Püppi. Das muss neu sein, dachte er. Oder vielleicht hat man auch nie so genau hingeschaut. Und: Ich war schon lange nicht mehr hier.

Früher war er alle ein, zwei Monate mit seinem Mountainbike von Zürich-Affoltern, wo er wohnte, nach Zürich-Seebach gefahren. Diese Strecke, zuerst geradewegs runter zum Katzenbach, dann vorbei an der Eidgenössischen Forschungsanstalt Reckenholz, am Biohof entlang und Felder rauf ins Wohngebiet, um keine zehn Minuten nach seiner Abfahrt im Seebacher Eichrainquartier anzulangen, war für ihn die Fährte, auf der er immer wieder nach Hause finden würde. In beide Richtungen.

Unbewusst war die Nähe zum Eichrainquartier mit ein Grund gewesen für seine Entscheidung, in das mammutgleiche Isengrind-Hochhaus einzuziehen, und das, obwohl er sich bei Vertragsunterzeichnung dazu hatte verpflichten müssen, offizieller Begrüßer aller Neuzuzüger seines Verteilgangs zu werden. Für rund vierzig Wohnungen, seit bald zwanzig Jahren schon, war er zuständig. Musste vorbeigehen. An fremden Türen klingeln und Hände schütteln, wenn jemand einzog. Musste Informationsblätter über die Siedlung im Isengrind verteilen und die eine oder andere Frage zum Gebrauch der Waschküche, dem Wo des Fahrradkellers, dem Wann des Abholtags für Karton oder Papier beantworten. Gerade gestern hatte er die Unterlagen in einen Briefkasten geworfen, weil niemand zu Hause gewesen war.

Keiner im Isengrind wusste um seine Anstellung bei der Kantonspolizei. Niemand stellte Fragen. Einige öffneten die Türe nur einen Spaltweit, und die, die ihn baten einzutreten, waren an den Fingern einer Hand abzuzählen.

So schlimm war dieser Frondienst nicht. Die räumliche Nähe zu seinen Leuten wog mehr.

Scheu parkte zwischen zwei Mercedes-Limousinen. Sich selber halblaut Mut zuredend, griff er den neuen Schirm, stieg aus und ging einmal um den Wagen herum, um Ieva die Tür zu öffnen. Als er den Schirm aufspannte, merkte er, dass die Federraste nicht funktionierte.



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