Mein Jahr am Nordpol by Marie Tièche
Autor:Marie Tièche [Tièche, Marie]
Die sprache: deu
Format: mobi, azw3, epub
ISBN: 9783492963206
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
7 Ordnungen
Das Eis drängte sich in der Bucht wie ein vom Wind zusammengetriebenes Seerosenfeld am äußersten Rand eines Gartenteichs. Zwischen blauweißen Blättern, von Wind und Wasser verdreht und zermahlen, sprossen weiße und türkisfarbene Brocken wie bizarre Blüten hervor. Ein paar Klumpen hatte die Ebbe an der Küste zurückgelassen, und Hauke wollte Proben entnehmen, um sie in seinem Labor zu analysieren. Videokamera und Instrumente waren im Rucksack verstaut, er zog mit den Hunden los in Richtung Küste, und ich widmete mich dem Haushalt.
Ich räumte ein bisschen auf – ohne es zu übertreiben. Denn Hausarbeit war nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung. Seit jeher lebte ich eigentlich im Chaos, obwohl ich es lieber mochte, wenn alles sauber und aufgeräumt war. Oft verbrachte ich den ganzen Tag mit Sortieren, Wegpacken und Putzen, aber in null Komma nichts sah alles wieder aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Zumindest in Gegenwart anderer oder bei der Arbeit gelang es mir, alles einigermaßen in Schuss zu halten – aber sobald ich alleine war, drohte ich zwischen herumliegendem Zeug zu ersticken. Und zwar aus reiner Faulheit.
Ich trug die Müslitüte, das Milchpulver und die klebrige Dose mit Aprikosenkompott in die Küchenecke und wischte den Tisch ab. Mit einem präzisen Kugelschreiberstrich hatte Hauke unseren Tisch in zwei genau gleich große Hälften geteilt. Dieser »Kaiserschnitt«, wie wir ihn nannten, sorgte für Gerechtigkeit: seine Seite, meine Seite. Erst war ich eher skeptisch gewesen – es war schließlich eine ziemlich rigide Maßnahme –, aber die Aufteilung bewährte sich. Auf meiner Seite konnte ich so viel herumliegen lassen, wie ich wollte (und wehe, etwas geriet auf seine Seite!), und damit es keinen Streit gab, standen Tee, Thermosflaschen mit heißem Wasser sowie Knabberzeug für beide gleichermaßen gut erreichbar mitten auf der blauen Linie.
Das Ende des Tisches, auf dem ich den Brotteig knetete, schrubbte ich regelmäßig mit heißer Seifenlauge (weitaus öfter als den Rest der Hütte, die im Grunde nur ganz am Anfang so sorgfältig gewischt worden war). In den Dreißigerjahren hatte Christiane Ritter, eine Deutsche, mit ihrem Mann und einem weiteren Trapper hier auf Spitzbergen überwintert (na, das war bestimmt eine interessante Erfahrung gewesen!). Wenn sie wütend war oder sie irgendetwas umtrieb, putzte sie von oben bis unten die gesamte Hütte. Mir war das zu viel Arbeit und Stress. Ein paarmal in der Woche den Boden fegen und die Arbeitsflächen abwischen, das reichte vollkommen.
Das Bettzeug wusch ich wochenlang nicht, denn Dank der reinen Luft wurden weder wir noch unsere Laken und Bettbezüge richtig schmutzig. Außerdem war es gar nicht so einfach, ein voluminöses Laken in einer kleinen Schüssel oder einem Eimer mit der Hand zu waschen. Irgendwie passten entweder nur Wasser oder das Wäschestück hinein, aber nicht beides zusammen. Ich betrachtete unsere Bettwäsche wie Schlafsäcke, und die wusch man schließlich auch nicht ständig. Ich schüttelte meine Decke aus, legte den Schlafanzug zusammen und stopfte ihn unter das Daunenkissen. Die meisten meiner Kleidungsstücke lagerten in der Haupthütte (wo sie ungenutzt bis zum Ende des Jahres bleiben sollten), und was ich regelmäßig trug, verstaute ich in Kisten unter dem Bett.
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