Maigret - 35 - Maigrets Memoiren by Simenon Georges

Maigret - 35 - Maigrets Memoiren by Simenon Georges

Autor:Simenon, Georges [Georges, Simenon]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-02-14T17:00:00+00:00


Nach Juberts Ausscheiden wurde der Kreis der Freitaggäste am Boulevard Beaumarchais immer kleiner, und oft war jetzt niemand da, der sich als Pianist betätigte. Dann setzte Louise sich ans Klavier, und ich drehte ihr die Notenblätter um, während ein oder zwei Paare im zu groß gewordenen Speisezimmer tanzten.

Ich glaube nicht, daß ich Louise überhaupt gefragt habe, ob sie mich heiraten wolle. Meist sprachen wir von meiner Karriere, von der Polizei, vom Inspektorenberuf.

Ich sagte ihr, wieviel ich verdienen würde, wenn ich endlich an den Quai des Orfèvres versetzt werden sollte, beeilte mich aber stets zu versichern, daß ich erst in drei Jahren damit rechnen könne und daß mein Gehalt mittlerweile nicht ausreiche, um eine Frau standesgemäß zu unterhalten.

Ich erzählte ihr von meinen paar Gesprächen mit Xavier Guichard, damals schon ›der große Chef‹; ich erklärte ihr, wie er immer noch an meinem toten Vater hing und mich mehr oder weniger unter die Fittiche genommen hatte.

»Ich weiß zwar nicht, ob Ihnen Paris gefällt, aber ich werde voraussichtlich mein ganzes Leben in Paris verbringen müssen.«

»Man kann hier genauso friedlich leben wie in der Provinz, glauben Sie nicht?«

An einem Freitagabend schließlich fand ich keinen einzigen Gast vor. Nur Géraldine war da, in einem schwarzseidenen Kleid. Sie öffnete mir selbst die Tür und sagte in einem fast feierlichen Ton:

»Treten Sie ein!«

Louise war nicht im Salon. Es gab keine Schüssel mit Keksen, keine Erfrischungen. Man sah auch kein Feuer im Kamin brennen, denn inzwischen war es Frühling geworden. Weit und breit schien es nichts zu geben, woran man sich festhalten konnte, und ich stand mit dem Hut in der Hand und schämte mich meines Fracks, meiner Lackschuhe.

»Und nun sagen Sie mir, junger Mann, was haben Sie eigentlich für Absichten?«

Es muß einer der schlimmsten Augenblicke meines Lebens gewesen sein. Die Stimme klang trocken, vorwurfsvoll, jedenfalls in meinen Ohren. Ich wagte nicht aufzublicken und sah auf dem gemusterten Teppich nur den Saum eines schwarzen Kleides und darunter die Spitze eines sehr schmalen Schuhs. Mein Gesicht färbte sich rot.

»Ich schwöre Ihnen …«, stotterte ich.

»Ich verlange keine Schwüre. Ich frage Sie, ob Sie die Absicht haben, sie zu heiraten.«

Daraufhin schaute ich sie endlich an, und ich glaube, ich habe nie so viel liebevollen Spott im Gesicht einer alten Frau gesehen.

»Aber klar!«

Es heißt – die Geschichte bekam ich später oft genug zu hören –, ich sei wie ein Springteufel aufgeschossen und hätte noch lauter gerufen:

»Klar!«

Und ein drittes Mal hätte ich geradezu gebrüllt:

»Klar, das ist doch selbstverständlich!«

Sie erhob nicht einmal die Stimme, als sie rief:

»Louise!«

Louise hatte hinter einer Tür gestanden, die nur angelehnt war. Jetzt kam sie herein, ganz linkisch und genauso purpurrot wie ich.

»Was habe ich dir gesagt?« meinte die Tante.

»Wieso?« fuhr ich dazwischen. »Glaubte sie es denn nicht?«

»Ich war nicht ganz sicher. Tante Géraldine hat …«

Nein, ich sage nichts weiter. Die eheliche Zensur würde diesen Abschnitt sowieso streichen.

Der alte Léonard hat, ehrlich gesagt, weniger Freude bekundet und mir nie verziehen, daß ich nicht vom Straßen- und Brückenbau abstammte. Er saß, von seinen Gebrechen an den Lehnstuhl gefesselt, sehr alt, schon fast



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