Liebesgruesse aus Deutschland by Wladimir Kaminer

Liebesgruesse aus Deutschland by Wladimir Kaminer

Autor:Wladimir Kaminer
Die sprache: de
Format: mobi
Herausgeber: Manhattan
veröffentlicht: 2011-08-01T22:00:00+00:00


Der deutsche Mann

Ich habe viele deutsche Männer beobachtet, obwohl mich grundsätzlich die Frauen mehr interessieren. Ich sehe diese Männer oft bei der Tanzveranstaltung »Russendisko«, wo ich seit über zehn Jahren jede zweite Woche den DJ mache. In der letzten Zeit ist Berlin ein Mekka für junge Touristen geworden, eine Art Paris für Arme. Neben unserer Disko sind mehrere Hotels aus dem Boden gestampft worden, viele Engländer, Amerikaner, Italiener kommen zum Tanzen und Feiern. Dadurch wird der deutsche Mann noch deutlicher sichtbar. Man erkennt ihn daran, dass er neben dem Tresen oder in einer Ecke nahe dem Eingang bei der Kassiererin steht und das hereinströmende Publikum beobachtet. Zuerst dachten wir, er wäre vom Finanzamt geschickt worden, um zu kontrollieren, ob der Geldverkehr ordnungsgemäß abgewickelt wurde. Aber nein, er wollte eigentlich nur Frauen kontrollieren. Oft konzentriert sich der Mann dabei auf eine ganz bestimmte, als wolle er sie hypnotisieren. Aber er geht nicht auf sie zu, um sie kennenzulernen. Er bewegt sich überhaupt sehr vorsichtig. In manchen amerikanischen Actionfilmen schlucken Drogendealer Kondome mit Heroin, um die Droge über die Grenze oder in den Knast zu schmuggeln. Sie dürfen dann nicht herumspringen, denn die Ladung in ihrem Körper würde sie sofort umbringen, wenn sie platzen würde. So bewegen sich die Deutschen in der Disko: Als würden sie in sich einen zerbrechlichen Schatz bergen. Von Protzen oder sportlichem Anbaggern, wie es den Russen eigen ist, kann keine Rede sein.

Die Courage, die meine Landsleute aufbringen, wenn es ums Saufen, Ausgehen oder Sichverlieben geht, ist dem deutschen Mann fremd. Eigentlich weiß er selbst nicht, was er von der Frau will, die er stundenlang beobachtet. Heiraten hat er nicht vor, das würde eine zu große Einschränkung seiner Freiheit bedeuten und seine Tagesordnung durcheinanderbringen. Eine Frau in ihn verliebt zu machen, dafür fehlt ihm der Ehrgeiz. Für ein kurzfristiges Abenteuer ist er nicht sportlich genug, und außerdem hat er Angst um seinen Geldbeutel. Und wenn er dann doch nach zwei Jahren gucken beschließt, eine bestimmte Person kennenzulernen, dann wird er sie auch nicht gleich anspringen, sondern sich zuerst beraten – mit seinen Kumpeln, seinem Anwalt, vielleicht noch seinem Arzt und seinem Steuerberater, möglicherweise seiner Mutti. Er hat Dutzende Beratungsstellen, die einen zu Tode beraten können.

Der Gerechtigkeit halber muss an dieser Stelle gesagt werden, dass diese Beschreibung nur auf den heterosexuellen Mann passt. Die Homosexuellen in Deutschland kennen diese Zurückhaltung nicht, sie zeigen oft Großzügigkeit und Courage. Wenn sie verliebt sind und das Objekt ihrer Begierde umschwärmen, gibt es kein Halten mehr. Der heterosexuelle Mann hat es dagegen schwerer. In gewisser Weise sind Frauen daran schuld, dass dieser unsichere Typus sich dermaßen stark entwickelte. Sie haben hierzulande dem Mann besonders kräftig mit dem Hammer des Feminismus auf die Eier geschlagen. Ich möchte über den Feminismus nicht schimpfen. Der Kampf der Frauen für ihre Rechte war richtig und notwendig. Es gibt aber kaum Kämpfe ohne zivile Opfer. Leider ist der deutsche Mann in diesem Kampf zu einem Kollateralschaden geworden.

Es hat etwas Anrührendes, wenn sich Kollateralschäden verlieben. Sie wirken ohnmächtig, so als wären sie von ihrer eigenen Verliebtheit hypnotisiert.



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