Liebe by Comte-Sponville André

Liebe by Comte-Sponville André

Autor:Comte-Sponville, André [Comte-Sponville, André]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Philosophie
ISBN: 9783257604269
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 2015-01-08T05:00:00+00:00


[98] Eine spinozistische Liebeserklärung

Also ist auch für Spinoza die Liebe Begehren, doch sie ist kein Mangel. Das Begehren ist Macht; die Liebe Freude. Spinoza kommt hier, vielleicht ohne es zu sagen und vielleicht ohne es zu wissen, auf die schöne Idee von Aristoteles zurück, die ich zu Anfang dieses zweiten Teils zitierte: »Lieben heißt sich freuen.« Die Definition, die Spinoza für die Liebe gibt, ist etwas komplizierter, geht aber in die gleiche Richtung: »Liebe ist Freude unter der Begleitung einer äußeren Ursache.«92 Lieben heißt sich freuen über; in gewisser Weise fügt Spinoza dieses »Über« zur Formulierung des Aristoteles hinzu. Was heißt das konkret? Stellen Sie sich vor, jemand sagt Ihnen: »Ich bin glücklich bei dem Gedanken, dass es dich gibt«; oder auch: »Ich empfinde Freude, und die Ursache meiner Freude ist der Gedanke, dass es dich gibt«; oder einfacher: »Jedes Mal, wenn ich an dich denke, bin ich glücklich.« Sie halten das für eine Liebeserklärung, und Sie haben natürlich recht, und das wiederum gibt Spinoza recht: »Liebe ist Freude unter der Begleitung einer äußeren Ursache.«

Sie haben recht, aber Sie haben auch Glück. Zunächst einmal, weil es eine spinzozistische Liebeserklärung ist. Die ist keineswegs alltäglich: Viele Menschen sterben, ohne jemals eine solche Erklärung erhalten zu haben. Also genießen Sie sie, und wenn der Satz von jemandem kommt, der sich in der Philosophie auskennt, dann sagen Sie: »Danke, Spinoza!«

[99] Großes Glück haben Sie aber auch, weil es sich um den ganz seltenen Fall einer Liebeserklärung handelt, die nichts von Ihnen verlangt, und das ist wahrhaft außergewöhnlich. Sie könnten einwenden: »Aber wenn man sagt: ›Ich liebe dich‹, verlangt man doch auch nichts!« Aber sicher doch, und nicht nur, dass der andere antwortet: »Ich dich auch!« Beziehungsweise hängt alles davon ab, auf welche Art von Liebe Sie Bezug nehmen, wenn Sie sagen: »Ich liebe dich.« Wenn Sie bei Platon sind, das heißt, wenn Sie verliebt im eigentlichen Sinne des Wortes sind, hat »Ich liebe dich« die Bedeutung von »Du fehlst mir«, I need you, wie die Beatles sangen. Te quiero, sagt man auf Spanisch (»Ich liebe dich, ich will dich«: das ist dasselbe Wort). Also Sie verlangen sehr wohl etwas; eigentlich verlangen Sie alles, denn Sie verlangen einen ganzen Menschen. Daher sind unsere Liebeserklärungen für den anderen manchmal so lästig, so schwer zu ertragen. Aber die Aussage »Ich bin glücklich über den Gedanken, dass es dich gibt« enthält keinerlei Forderung; sie ist Ausdruck einer Freude. Kein Verlangen, keine Besitzergreifung, sondern Dank.

»Danke, dass Sie so schön sind!«, sagte eines Tages einer meiner Freunde in meiner Gegenwart zu einer Unbekannten, der wir auf der Straße begegneten. Er ist verheiratet und, wie ich glaube, absolut treu. Das hinderte ihn aber nicht daran, sich zu freuen und sich zu bedanken.

Stellen Sie sich vor, meine Damen, ein Mann spricht Sie auf der Straße an, ein Mann, der nicht Ihr Mann ist, was ja ziemlich peinlich ist, ein Mann, den Sie nicht kennen, aber durchaus von ansprechendem Äußeren. Er schaut Ihnen in die Augen und sagt: »Madame, Mademoiselle, ich bin



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.