Kulturgeschichte der Neuzeit (German Edition) by Egon Friedell

Kulturgeschichte der Neuzeit (German Edition) by Egon Friedell

Autor:Egon Friedell [Friedell, Egon]
Die sprache: de
Format: azw3, epub, azw
veröffentlicht: 2011-03-30T16:00:00+00:00


Wie ist Natur möglich?

Viel wichtiger, ja das Zentrum der kantischen Philosophie ist die unmittelbar anschließende schwierige Lehre von der »transzendentalen Apperzeption«. Wir haben gehört: die Dinge erscheinen uns nicht nur im Nebeneinander des Raums und im Nacheinander der Zeit, sondern auch in einer gesetzmäßigen und notwendigen Verknüpfung; diese Verknüpfung geschieht durch die Begriffe unseres Verstandes und ihr Resultat ist das, was wir »Erfahrung« nennen. Aber in der Erfahrung sind uns die Dinge immer nur in einer tatsächlichen, nicht in einer notwendigen Verknüpfung gegeben. Gleichwohl treten die Verknüpfungen, die unser Verstand vollzieht, mit dem Anspruch und Charakter strenger Allgemeinheit und Notwendigkeit auf. Woher kommt das? Einfach daher, daß wir selbst durch unsere einheitliche Auffassung, durch die transzendentale, aller Erfahrung vorhergehende Einheit unserer Apperzeption diese Synthesis vollziehen. Die Welt, die unseren Empfindungen zunächst nur als dunkle verworrene Mannigfaltigkeit gegeben ist, wird durch die Einheit unseres Selbstbewußtseins von vornherein als Einheit apperzipiert, folglich ist sie eine Einheit und eine notwendige Einheit. Daß uns die Welt, die wir vorstellen, stets als dieselbe erscheint, ist nur zu erklären aus der Einheit und Unwandelbarkeit unseres »reinen« Bewußtseins, das vor aller Welt da ist und daher den »obersten Grundsatz«, das »Radikalvermögen« der menschlichen Erkenntnis bildet. Die Einheit unseres Ichs ist der wahre Grund der Einheit der Welt; die »Natur« wird uns Objekt, Erfahrungsgegenstand, Bewußtseinsinhalt, anschaulich und gesetzmäßig geordneter Zusammenhang, weil wir sie vorher durch die in unserer Seele bereitliegenden Erkenntnisvermögen der Anschauung und des Verstandes als diesen »Gegenstand« gesetzt haben. »Verbindung«, sagt Kant, »liegt nicht in den Gegenständen und kann von ihnen nicht durch Wahrnehmung entlehnt werden, sondern ist allein eine Verrichtung des Verstandes«, der selbst nichts andres ist als das Vermögen, a priori zu verbinden. Unser Verstand erzeugt selbsttätig, spontan vermöge einer Fähigkeit, die Kant »produktive Einbildungskraft« nennt, bestimmte Verknüpfungen, bestimmte Gesetze: die sogenannten »Naturgesetze«. »Der Verstand schöpft seine Gesetze nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor.« Das ist die Antwort auf die Frage: wie ist Natur möglich?



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.