Kriegsenkel by Bode Sabine

Kriegsenkel by Bode Sabine

Autor:Bode, Sabine [Bode, Sabine]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783608101317
Herausgeber: Klett-Cotta
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


[159]Neuntes Kapitel

LEBEN LERNEN

[161]Ein empörter Brief

Anja Freisecke* nahm Kontakt mit mir auf, nachdem sie mein Buch »Die Deutsche Krankheit – German Angst« gelesen hatte. Darin hatte ich mich mit den gesellschaftlichen Folgen der langen Schatten von NS-Zeit und Krieg auseinandergesetzt. Sie schrieb, sie sei ein Kriegsenkel, sie beobachte die Generation der Kriegskinder schon seit geraumer Zeit und habe ihre Schlüsse daraus gezogen. Ob ich an einem Bericht interessiert sei? Anja Freisecke weckte mein Interesse, weil ihr Brief nicht nur ein bisschen melancholisch klang, sondern weil sie stellenweise auch ihrer Empörung Luft machte. Sie kritisierte die Kriegskinder heftig – ein Tonfall, den ich von anderen Kriegsenkeln nicht gewohnt war. Hier ist ihr von mir leicht redigierter Bericht.

Auf meinem täglichen Schulweg mit dem Linienbus durch die Bochumer Vorstadtgebiete begleiteten mich in meiner Jugend Anfang der 80er Jahre zwei grundlegende Gefühle: Irgendetwas stimmt hier in dieser Umgebung nicht. Und: ein schmerzhaftes Trauergefühl, besonders älteren Menschen gegenüber. Beide Gefühle konnte ich nicht erklären, nicht erfassen. Ich wusste nur, sie waren stark und unangenehm. Hinzu kam ein ebenso erdrückendes Gefühl bei mir zu Hause. Es hat mich noch begleitet, als ich schon längst ausgezogen war: ein schlechtes Gewissen und Schuldgefühle meinen Eltern gegenüber. Oft hatte ich die Empfindung, ich sei ›undankbar‹ und keine ›gute Tochter‹.

Geboren wurde ich 1969 in Koblenz als Jüngstes von drei Kindern. Ende der 70er Jahre sind wir nach Bochum umgezogen, [162]wo ich meine Jugendzeit verbrachte. Ich bin die Tochter eines Flüchtlingskindes. Meine Großeltern mütterlicherseits lebten als einfache ›deutschstämmige‹ Bauern in Polen und hatten mit den Nazis nichts am Hut. Als mein Opa ein Angebot der Nazis, Bezirksleiter zu werden, ablehnte, wurde er kurze Zeit später an die Kriegsfront nach Russland abkommandiert. Nach einer kurzen Zeit der Kriegsgefangenschaft schlug er sich zu seiner Familie in Zentralpolen durch, die er dann über die schon abgeriegelte Grenze nach Westdeutschland führte. Meine Mutter war damals zehn Jahre alt. Die Familie siedelte sich nach der Flucht in Niedersachsen an.

Über meine Familie väterlicherseits weiß ich heute, dass meine Großeltern überzeugte Nationalsozialisten waren. Sie glaubten an die Ziele der Nazis und befürworteten die dem System zugrunde liegenden Ideen. Beide waren in der NSDAP. Mein Opa wurde nach einer Denunzierung unehrenhaft aus der Partei ausgeschlossen, kam ins Gefängnis und wurde nach dem Krieg noch einmal sieben Jahre in dem ehemaligen KZ Buchenwald und im DDR-Gefängnis Waldheim inhaftiert, weil er nun von Nachbarn als Nazi denunziert worden war. Als er 1952 entlassen wurde, kehrte er zu meiner Oma und meinem Vater zurück, die mittlerweile in Bochum lebten. Über die ganze Geschichte wurde in der Familie nicht geredet. Mein Vater nahm dieses Schweigen schließlich mit in den Tod. 1937 geboren, verstarb er Ende der 90er Jahre an Krebs.

Die Geschichte meiner Großeltern und Eltern führe ich an, weil deren Kriegs- und Nachkriegserfahrungen meine persönliche Entwicklung direkt beeinflussten. Meine Kindheit und Jugend wurde grundlegend durch unverarbeitete Kriegserlebnisse geprägt. Damit stehe ich nicht allein da. Meiner Meinung nach gibt es zwischen meiner Generation und der Elterngeneration einen gravierenden Generationskonflikt. Dieser Konflikt, der sich abgeschirmt in



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