Junge Frau von 1914 - Roman by Aufbau

Autor:Aufbau [Aufbau]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-10-10T04:00:00+00:00

Zweites Kapitel

Kleine Ursache

An einem Fenster gegenüber der Kathedrale des heiligen Maurizius, schwarzgrau steinerne Gotik des fünfzehnten Jahrhunderts, stehen zwei Herren in Uniform und beobachten das Portal, das mit Knäufen, Rosetten und Statuen geschmückte Zeltdreieck. Drinnen machen jeden Sonntag nachmittag Soldaten Kirchenmusik, eingezogene Künstler, Gemeine oder Unteroffiziere, die sich die Sehnsucht ihrer Seelen vom Herzen musizieren. Was immer in Lille nach großer Kunst schmachtet, nach einem Präludium von Bach, einer Sonate von Händel, einer Solomotette von Heinrich Schütz, findet sich, wenn es Urlaub hat, in dem dunklen Pfeilerwerk der hohen Kirche ein, deren Fenster magisch nach innen funkeln, obwohl Drahtnetze ihre Leuchtkraft hemmen. Stets sind Mannschaften von X /20 bei diesen Konzerten anwesend, Sträflingen gleich, die sich einmal oder zweimal im Monat erquicken dürfen.

»Ich gab Dimpfel auf, einen möglichst gescheiten von den Leuten herauszupicken, einen mit Brille.«

Der Pionierhauptmann wandte sich zu dem Major der Artillerie, dem Herrn der Wohnung, Kommandeur über viele Batterien schwerer Geschütze in den Forts nördlich und westlich der Stadt: »Alles gut und schön. Aber wie willst du mit einem gemeinen Armierungssoldaten seinen eigenen Major bekämpfen?«

Der bayrische Artillerist, die klugen braunen Züge von Falten durchfurcht, lachte mit den Augen und legte dem Württemberger den Arm auf die Schulter. »Meiner Seel, du Strategiekünstler, steht nicht in eurer Felddienstordnung, das Erfassen des geeigneten Augenblicks, einmaliger Konstellation, habe dem Soldaten über alles zu gehen? Mackensen schlägt sich in Serbien, Gallwitz unter ihm. Da sie von uns schon Märker, Alpentruppen, eine Masse Magdeburger Artillerie bekommen haben, fordern sie noch mehr. Das ist Preußenlogik. Diesmal brauchen sie Armierungsbataillone zum Straßenbau. Ich kriege die gesamten Listen in die Hand, weil ich ja meine eigenen Batterien beigesteuert habe. Ich bemerke gestern, zunächst ganz dumm, mein Armierungsbataillon XI/21 dabei, Hauptmann Friedrichsen mit seinen Hamburgern und Altonaern.«

»Diesen kommoden netten Mann.«

»Das ist gefehlt, denke ich auch. Warum trifft’s nicht diesen Berliner, die zuwidere Schnauze, der uns das ganze Kasino unleidlich macht, alle Gemütlichkeit verdirbt mit seinem prahlerischen Gefreß?«

»Weißt, was er gestern geleistet hat? Ich fahre in der Trambahn, er auch. Rundrum sitzen Soldaten, halt so Leut. Ich war furios aufgebracht von dem saublöden Gemetzel da vorn …«

»Gottsackerment, sei still.«

»Und meinen Rotwein hatt’ ich auch schon intus vom Frühstück her. Was wir hier eigentlich zu suchen hätten, fragt’ ich den Infanteriehauptmann, den Prinzinger, ob wir vielleicht hier für alle Ewigkeit backen bleiben wollten? Gar nichts verloren hätten wir hier, herausgehen sollten wir hier, sobald als möglich. Die Leut nickten dazu, die sind ja verständig, die wissen, daß wir nicht ewig Krieg spielen können.«

»Und Jansch?«

Der Major öffnete das Fenster, um das zarter Nebel wehte, und spähte hinaus. Die Orgel, leise vernehmlich, endete in triumphalem Brausen. Menschen verließen das Gotteshaus, schwarz gekleidete Bürger, alte Frauen.

»Vor ein Kriegsgericht müßt man mich stellen, ein Kriegsverrat wär das, öffentlich solche Reden herauszugeben. Er werde Meldung machen höheren Orts. Lille müsse fest in unserer Hand bleiben, Nordfrankreich bis an den Kanal. Deutschlands Aufstieg, das Recht des Siegerschwertes, unsere großen Taten.«

»Seine großen Taten, die großen Taten von dene Leut. In ihren Mistblättern hetzen können sie, den Krieg verlängern, bis uns der Engländer im Winter doch noch ausfegt.

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