Im Wechsel der Gezeiten by Schneefuß Elke

Im Wechsel der Gezeiten by Schneefuß Elke

Autor:Schneefuß, Elke [Schneefuß, Elke]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-06-16T04:00:00+00:00


Kapitel 11

Der Frühling kam spät in diesem Jahr. Bis Ostern hatten Frost und Schnee die Insel fest im Griff gehabt. Erst jetzt, Ende April, zeigte sich die Sonne wieder häufiger am Himmel. Johannes blickte hinaus aufs Meer, das als spiegelglatte Fläche in eisigem Grau vor ihm lag. Das Dampfschiff aus Hoyerschleuse näherte sich, dicke weiße Rauchwolken ausstoßend, dem Fähranleger. Welcher der weiblichen Passagiere, die dort oben an Deck standen, würde seine zukünftige Sprechstundenhilfe sein? Er stellte sich vor, dass es sich um ein pausbackiges Geschöpf handelte, die Haare zu einem Knoten geflochten, fröhlich und fleißig, das Herz auf dem rechten Fleck – so wünschte er sie sich jedenfalls. Auf seine Annonce im Husumer Tageblatt hatten sich gleich dutzendweise Bewerberinnen gemeldet. Es war ihm schwer gefallen, sich zu entscheiden, doch schließlich hatte er Fräulein Hagemann aus Lübeck ausgewählt, weil ihm keine so nett und humorvoll geantwortet hatte wie sie. Sie hatte zuletzt eine vermögende Kaufmannswitwe in Lübeck gepflegt. Jetzt, nach dem Tod der alten Dame, sehnte sich die gelernte Krankenschwester Elisabeth Hagemann nach einer Veränderung. Weil sie nach eigenen Angaben das Meer und insbesondere die Nordsee liebte, hatte sie sich bei Johannes Lehmann beworben. Er hatte ihr geantwortet, alles an ihr hatte ihm gefallen. Ihre Zeugnisse waren gut, ihre Rechtschreibung fehlerfrei, ihr Stil ließ Intelligenz erkennen. Ihrem Brief hatte sie eine Fotografie beigelegt, auf der sie mit einem Hund abgebildet war. Das Tier stand im Vordergrund des Fotos, von Elisabeth war nur wenig zu sehen – eben gerade mal ihre schlanken Fesseln und ein kleines Stück ihres Kleides waren abgebildet. Johannes hatte sich über das Motiv amüsiert. Jetzt war er richtiggehend gespannt darauf, den Rest der jungen Dame in Augenschein zu nehmen.

Die Reisenden begannen das Schiff zu verlassen.

Im ersten Augenblick schien es Johannes, als würden nur männliche Passagiere von Bord gehen. Er reckte sich und suchte nach einer jungen Dame, auf die Elisabeth Hagemanns Beschreibung passen konnte, doch bevor er sie entdeckte, blieb ein Fremder vor ihm stehen. Ein Mann in mittleren Jahren maß ihn mit einem prüfenden Blick. »Verzeihen Sie, der Herr, kennen Sie sich hier aus?«

»Hier auf der Insel, meinen Sie?« Johannes musterte sein Gegenüber. Vor ihm stand ein Mann in einem ausgedienten Militärmantel, von dem man die Rangabzeichen abgetrennt hatte. Der ganze Mensch verströmte den Geruch leichter Verwahrlosung. Sein Haar wirkte ungewaschen, bläuliche Ringe lagen unter seinen Augen, seine Haut besaß einen krankhaft bleichen Unterton. Wäre dieser Mensch als Patient in seine Praxis gekommen, so hätte es Johannes nicht gewundert, wenn er über eine Fülle gesundheitlicher Beschwerden geklagt hätte.

Der Mann nickte Johannes zu. »Sicher, ob Sie sich hier auf der Insel auskennen, das meine ich. Vielleicht können Sie mir helfen, ich suche nämlich einen ehemaligen Kriegskameraden. Nicolai Boysen ist sein Name. Er soll ein Haus in Kampen besitzen.«

»Die Familie Boysen betreibt ein Café in Kampen, das ist richtig. Das Friesencafé kennt jeder im Dorf. Sie müssen ungefähr sechs Kilometer von hier aus in Richtung Norden gehen, immer der Straße nach, dann kommen Sie genau drauf zu. Es ist kaum zu verfehlen.



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