Himmel - Herrgott - Sakrament by Schießler Rainer

Himmel - Herrgott - Sakrament by Schießler Rainer

Autor:Schießler, Rainer
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: d-Kösel Sach-/Fachbuch


Abendläuten

Ich wollte da nicht hin. Ich war immer noch verliebt in Rosenheim. Wieder war ich abgeordnet worden. Diesmal nahm ich das mit kühler Distanz zur Kenntnis. In Giesing war ich kaum verwurzelt gewesen und ich sah keine Verschlechterung: zukünftig würde mich nur die Isar vom 60er-Stadion trennen. Kein Ding. Und irgendwie reizte mich die Aufgabe auch. Denn Sankt Max war richtig groß. Ich hätte eine derart wichtige Pfarrei mitten in der Innenstadt vermutlich nie bekommen, wenn sie noch einen Funken Leben in sich gehabt hätte. Das Gemeindeleben war durch innere Zwistigkeiten zum Erliegen gekommen. Ein Problemfall. Mein Vorgänger hatte mit einer katholischen Erweckungsbewegung namens Neokatechumenat sehr intensiv gearbeitet. So intensiv, dass er polarisierte und viele Gläubige Sankt Max den Rücken kehrten. Es kam einer Spaltung gleich. Mein Vorgänger war seines Amtes enthoben worden und über Nacht hatten sie schnell einen guten Ersatzmann gebraucht, der übernimmt – das war ich. Wie beim Eishockey! Plötzlich stand ich im Spiel, auf blankem Eis. Ich konnte allerdings nichts mehr kaputt machen. Der Job war eine Art »Krankensalbung«. Und andererseits ein ungeheurer Vertrauensbonus, den ich Kardinal Wetter, meinem damaligen Diözesanbischof, zu verdanken habe.

Kaum jemand kann sich vorstellen, wie schwer die ersten Jahre in Sankt Max für mich gewesen sind und mit welchen Widerständen ich zu kämpfen hatte. Gleich zu Beginn habe ich allen Gemeindemitgliedern gesagt: »Ich gehör euch nicht!« Das war eine Kampfansage – die gleichzeitig signalisieren sollte, dass ich mich weder von der einen noch von der anderen Seite vereinnahmen lasse, sondern nur nach dem Wohl der ganzen Gemeinde entscheiden werde. Ich hatte in den Anfangsjahren niemanden, von dem ich sicher sagen konnte: der ist Freund und nicht Feind. Aber ich machte keine Fehler, weil ich die ersten Jahre von 1993 bis 1996, wo es wirklich darauf ankam, zwei der besten Berater gehabt habe, die man sich in so einer Drucksituation wünschen kann. Das war niemand vom Ordinariat – von denen ist niemand aufgetaucht, um mich zu unterstützen. Die eine Vertrauensperson war Gunda, die genau hier in mein Leben getreten ist, und die andere war mein eigener Vater. Die beiden einzigen Menschen, denen ich damals noch rückhaltlos vertraut habe. Ohne sie hätte ich es nie geschafft. Das Jahr vor meinem Abitur hatte ich mit meinem Vater kaum noch geredet – sondern nur gestritten. Unser Verhältnis blieb selbst nach dem Tod meiner Mutter eher sachlich unterkühlt. Einer unserer Streitpunkte war von jeher seine dauernde Kritik an mir gewesen. Nie schien es gut genug, was ich machte. Nie war er zufrieden und zeigte mir auf, was hätte besser sein müssen. Und immer schien er den Fehler bei mir zu ­suchen. Wenn ich mich gegen seine Kritik auflehnte, sagte er: »Ich werde dich immer kritisieren – selbst wenn du sechzig bist und ich neunzig. Nicht, weil ich was davon hab – sondern damit du was davon hast. Weil ich will, dass du immer das Beste aus dir und deinem Leben herausholst.« Deswegen versteh ich auch immer nicht, warum interessierte Kirchenkreise mich als »Nestbeschmutzer« titulieren, wenn ich meine Kirche kritisiere.



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