Heimkehr nach Fukushima by Muschg Adolf

Heimkehr nach Fukushima by Muschg Adolf

Autor:Muschg, Adolf
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Erzählende Literatur
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2018-05-06T16:00:00+00:00


10 Das Ōkura-Haus

Am nächsten Morgen war wenigstens der Blick durchs Fenster erquicklich, ins Grün des plätschernden Gartens. Das gute Frühlingswetter versprach zu halten. Die Häppchen für Mitsu wurden unberührt abserviert. Während Paul frühstückte, hörte er es im Nebenzimmer rumoren. Jedenfalls war Mitsu früh auf den Beinen. Er hatte sie gestern verletzt und nahm sich für diesen Tag größere Rücksicht vor.

Jetzt mußte er das dunkelblaue Überkleid probieren und war auf das Schlimmste gefaßt. Aber der Blaumann paßte, ohne zu spannen oder zu lottern, die vielen Taschen – auch seitlich an der Hose – wirkten professionell. Zugleich gab ihm der große Reißverschluß vom Hals bis unter den Schritt etwas von einer Strampelhose. Auch die Stiefel mit Reißverschluß waren bequem anzuziehen, fehlte nur noch der Helm. Die Bänder bedurften der Nachstellung, aber der ungewohnte Kopfschmuck war verblüffend leicht. Als er sich im Spiegel des Vorraums musterte, sah er einen Werkarbeiter fast wie jeden andern in Fukushima, gelb und blau.

Er trat aus der Tür und verschloß sie; da kam ihm im Korridor seinesgleichen entgegen, nur zierlicher. Außerdem trug Mitsu noch einen schwarzen Rucksack, ihren Helm in der Hand, und einen Plastikbeutel. Ihre Taschen wirkten gut ausgestopft. Der Zwillings-Look ließ beide lächeln, als sie sich zu einem guten Morgen verbeugten. In Stiefeln trippelt man nicht mehr, da wird ein Schritt unternehmungslustig und zum gemeinsamen Marsch. Die Wirtin, immer im rechten Augenblick zur Stelle, machte ihre Abschiedskomplimente.

Dann schritt man zum Parkplatz, und bevor Mitsu den Wagen öffnete, sagte sie: Ich habe noch etwas für Sie. – Sie öffnete den Plastikbeutel und zog ein ungefüges Paar gelber, gefingerter Handschuhe heraus. Als er sie anzog, reichten die Stulpen fast bis zum Ellbogen. – Wir haben noch kleinere, sagte sie, aber die lassen wir im Wagen.

Es sieht immer mehr nach Mondlandung aus, sagte er.

Das ist es auch, sagte sie. – Damit wir heil zurückkommen.

Helme und Handschuhe wanderten einstweilen in den Kofferraum, auch der Rucksack, nachdem sie ihm ein in Plastikfolie verpacktes Papier entnommen hatte, das einer Landkarte ähnlich sah. Sie gab es ihm in die Hand, sie stiegen ein, und der Geiger knisterte an der Windscheibe.

Mein Reisebarometer, welches ich in meiner Malerstube aufgehängt hatte, zeigte achtundzwanzig Zoll und vier Linien, was Dauer des schönen Wetters bedeutete, und ich nahm meine stets bereitstehenden Malerwandersachen und ging sofort zum Malen auf das Moor hinaus.

Es gibt neue Hotspots, vielleicht sehen wir mal die Karte an. Sie wird von meiner NGO jeden Morgen an alle Haushalte verschickt. Das Hotel war nicht darauf abonniert, aber ich habe dafür gesorgt, daß sie es bekommen, solange wir da sind. Wir fahren nach Yoneuchi, ins Ōkura-Haus. Es liegt hier – sehen Sie? In der Nähe gibt es ein paar rote Punkte, aber die können wir vermeiden. Die Strecke, die wir nehmen, sieht sauber aus.

Im Kartenlesen war ich mal ganz gut, sagte er.

Notfalls führen Sie mich.

Bevor sie den Motor anließ, fragte sie: Habe ich Sie in der Nacht sehr gestört?

Nein. Warum denn?

Ken hat zweimal telefoniert.

Wie geht es ihm?

Sie drehte die Zündung, und sie waren schon auf offenem Feld, als sie antwortete: Ich habe ihm gesagt, wenn er nochmals anruft, erschieße ich mich.



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