Harte Jahre by Mario Vargas Llosa

Harte Jahre by Mario Vargas Llosa

Autor:Mario Vargas Llosa
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Der Ruf der Horde, Diktatur, Nobelpreis für Literatur, Peru, Putsch
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2020-07-15T00:00:00+00:00


XXI

Auch ohne Wecker schlug Oberst Carlos Castillo Armas um Punkt halb sechs die Augen auf, so wie jeden Tag. Er war zwar erst spät ins Bett gekommen – was ihm sein Amt als Präsident der Republik an vielen Tagen abverlangte –, doch schon in seiner Zeit als Kadett an der Militärakademie hatte sich sein Körper daran gewöhnt, beim ersten Morgenlicht aufzustehen. Um Odilia nicht zu wecken, ging er auf Zehenspitzen ins Bad, duschte und rasierte sich. Als er im Spiegel sein eingefallenes Gesicht und die Ringe unter den Augen sah und wie ihm der Pyjama über die Schultern und die Hüften rutschte, war ihm klar, dass er wieder abgenommen hatte. Nicht von ungefähr. Bei den Kopfschmerzen, die ihn seit drei Jahren plagten, und der Bande von Taugenichtsen und Verrätern in seiner Umgebung war es kein Wunder, dass er immer weiter abmagerte. Essen hatte ihn noch nie sonderlich gelockt, anders als der Alkohol. Aber in letzter Zeit empfand er einen solchen Ekel vor Speisen, dass er sich zwingen musste, beim Frühstück wenigstens zum Obst zu greifen und mittags, wenn kein offizielles Essen anstand, die Tortilla mit Bohnen und Chili zu sich zu nehmen, sein beständiges Menü. Abends, immerhin, rang er sich zu einem Teller durch und trank, das sehr wohl, ein oder zwei Gläser Rum, so konnte er ein wenig entspannen und den bitteren Geschmack der Enttäuschungen und Wutanfälle des Tages vergessen.

Unter der Dusche und beim Rasieren fragte er sich ein weiteres Mal, wann es damit begonnen hatte, dass alles um ihn herum zusammenbrach. Am Anfang, vor drei Jahren, war das nicht so gewesen. Natürlich nicht. Er erinnerte sich an seine Ankunft in Guatemala, als er, nach erfolgreich abgeschlossenen Friedensverhandlungen mit den Streitkräften, aus El Salvador kam, Arm in Arm mit Botschafter John Emil Peurifoy, diesem bulligen Gringo, dem er zunächst so misstraut hatte und der sich am Ende ihm gegenüber so tadellos verhielt. Der Ärmste war bei einem Autounfall ums Leben gekommen, vielleicht war es auch ein Attentat gewesen, drüben auf seinem neuen Posten als Botschafter in Thailand, zusammen mit einem seiner Söhne, der ebenfalls im Wagen saß. Mochte Gott in seiner Barmherzigkeit die beiden in den Himmel aufgenommen haben! Er musste an die Menschenmenge denken, die ihn am Flughafen La Aurora mit Beifall und Hochrufen empfangen hatte. Wie einen König! Ja, so groß war die Anerkennung gewesen, die ihm Militärs und Zivilisten gezollt hatten, Freunde wie Feinde, dazu die gesamte guatemaltekische Presse. Und sofort fing es an, und alle gingen ihm um den Bart, krochen ihm in den Arsch, bettelten um Ernennungen, Ministerien, Beförderungen, Verträge. Kanaillen! Verräter! Vielleicht hatte es tatsächlich schon an diesem Tag des großen Empfangs begonnen, dass die Dinge aus dem Ruder liefen. War es nicht dort zum ersten Zusammenstoß zwischen den Kadetten der Militärakademie und den Freiwilligen in seiner Truppe gekommen, diesen Läusebälgen? Nur dass der Vorfall inmitten der Menschenmenge für viele unbemerkt geblieben war, auch für ihn.

Drei Jahre später konspirierte Gott und die Welt hinter seinem Rücken gegen die Regierung. Das wusste er sehr gut.



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