Gelassenheit by Wilhelm Schmid

Gelassenheit by Wilhelm Schmid

Autor:Wilhelm Schmid [Schmid, Wilhelm]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi
Herausgeber: Insel Verlag
veröffentlicht: 2014-06-04T22:00:00+00:00


6.

Berührung, um Nähe zu spüren

Auf Berührung sind Menschen das ganze Leben hindurch angewiesen. Von Geburt an trägt sie zum Aufbau des Immunsystems und zum Entstehen von Bindung und Geborgenheit bei. Über die Jahre hinweg fühlen Kinder und Heranwachsende sich getröstet, wenn sie in den Arm genommen werden. Auch Erwachsene kennen die wohltuende Wirkung einer streichelnden oder ruhenden Hand. Ein rasender Puls kann besänftigt, ein steigender Blutdruck gesenkt werden von der angenehmen Nähe des Anderen: Berührung zu suchen, ist ein sechster Schritt zur Gelassenheit.

Das Medium der Annäherung zwischen Menschen ist oft Berührung: Eine beiläufige Berührung am Arm weckt unmittelbar Vertrauen, und je weiter die Berührung gehen darf, desto enger kann die Beziehung werden. Im Gegenzug wird die Abwendung voneinander durch eine Verweigerung von Berührung eingeleitet, und so wird dies zur Erfahrung, die tief in der Existenz jedes Einzelnen verankert ist: Wenn ich berührt werde, lebe ich und spüre, dass ich lebe. Wenn ich nicht mehr berührt werde, entgeht mir das Leben und ich spüre das Leben nicht mehr. Die Berührung ist eine Aufmerksamkeit, ohne die ein Mensch seelisch und schließlich körperlich auszudörren und zu verwelken droht. Je weniger Berührung ein Mensch erfährt, desto fremder wird er sich selbst und Anderen und letztlich der Welt. Er fühlt sich ausgeschlossen, ohne den Grund dafür zu kennen. Wer von nichts und niemandem mehr berührt wird, stirbt in Einsamkeit lange vor dem Tod.

Was uns hilft, wenn wir älter werden, ist Berührung. Aber ausgerechnet in der Zeit, in der das Bedürfnis danach zunimmt, lässt die Bereitschaft Anderer dazu nach. Die Haut fordert nicht mehr von selbst, wie bei einem Baby, die Berührung heraus. Im fortgeschrittenen Alter scheinen viele den Eindruck zu erwecken, sie würden Berührung abweisen, also wird sie ihnen gar nicht erst angetragen. In Wahrheit macht die Kultur, die nur den wohlduftenden, makellosen Teint gelten lassen will, »Unberührbare« aus Alten und Älteren, als wäre ihre Berührung gleichbedeutend damit, vom Alter, folglich vom Tod infiziert zu werden. Dabei ist die Basiskommunikation über den Tastsinn selbst dann, wenn andere Sinne wie Sehen und Hören schwächer werden, weiterhin so gut möglich wie am Lebensanfang. Und am Ende des Lebens haben Sterbende oft kein größeres Bedürfnis als das nach der Hand, die ihre Hand hält und ihnen den Schweiß von der Stirn wischt.

Um der Bedeutung der Berührung beim Älterwerden Rechnung zu tragen, käme es darauf an, zumindest die Grundversorgung sicherzustellen – eine Aufgabe der Selbstsorge, solange die noch möglich ist, sodann aber der Fürsorge Anderer. Das betrifft zunächst die körperliche Berührung, etwa die Hand, die einen Moment länger als üblich in der Hand eines Anderen liegt, die gelegentliche Umarmung, die nicht missverständlich ist, die regelmäßige Massage und Körpertherapie, der Umgang mit Haustieren, auch die Berührung des Wassers beim Baden und Schwimmen, das Betasten von Materialien, Stoffen und Gegenständen.

Gelassen macht aber nicht nur die tastende Berührung, sondern jede Art von Sinnlichkeit, die als angenehm empfunden wird: Ein schönes Gesicht, ein Bild oder eine Landschaft zu sehen, Musik zu hören oder selbst zu machen, für sich allein oder im Chor zu



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