Gebrauchsanweisung für Vietnam, Laos und Kambodscha by Prüfer Benjamin

Gebrauchsanweisung für Vietnam, Laos und Kambodscha by Prüfer Benjamin

Autor:Prüfer, Benjamin
Format: epub
Tags: Reise
Herausgeber: Piper


Nun wagt erstmals ein Richter, ihn zu unterbrechen.

»Ich weiß nicht, ob Opfer der angemessene Ausdruck dafür ist – aber haben Sie erwägt, dass Ihr Opfer beinhalten würde, für die Revolution zu töten?«, fragt er.

»Ich dachte darüber nach, mich der Revolution anzuschließen. Das Einzige, was ich in meinem Leben liebte, war lehren. Ich hoffte, wenn die Revolution gewonnen sei, würde man mir erlauben, meinen Unterricht fortzusetzen. So war meine Vorstellung, ich hatte noch nicht mal daran gedacht, einmal das zu tun, was ich später tat.«

Der Richter hakt nach.

»In Ihren Augen – fand die kommunistische Partei etwas Besonderes an Ihnen, das sie veranlasste, Sie zum Direktor des Sicherheitszentrums zu machen? Welche Qualitäten, Charaktereigenschaften könnten das gewesen sein?«

Duch antwortet nicht ohne Stolz.

»Die Qualität, die sie suchten, war Aufrichtigkeit der Partei gegenüber. Während meines ganzen Lebens kannten mich meine Vorgesetzten sehr gut. Sie alle wussten, dass ich eine aufrichtige Person war, die nie etwas verstecken würde. Und eine andere Eigenschaft war, dass ich, was auch immer mir aufgetragen wurde, akkurat ausführen würde. In meinem ganzen Leben, wenn ich etwas tun würde, dann würde ich es richtig machen. Wenn ich es nicht richtig machen könnte, würde ich es nicht tun.«

»Akkurat« und »richtig« – für einen Moment herrscht Stille im Gerichtssaal. Die beiden Worte schweben im Raum wie kalter Nebel. Duch ist jemand, dem man eine schwere Aufgabe übertragen hat, und er hat sie zu Ende geführt, ohne zu klagen. Deshalb hatten sie ihn ausgewählt. Deshalb war er geeignet für den Massenmord.

Jemand im Gerichtssaal sagt, es sei Zeit für das Mittagessen.

Die Besucher strömen aus der Galerie zu der kleinen Cafeteria vor dem Gericht, debattierend, urteilend, wie ein Publikum nach dem Besuch eines Theaterstücks. Ich muss über Duch nachdenken. Seine Antworten zeigen eine entsetzliche Ehrlichkeit – wenn er einen Vorwurf bestreitet, liefert er selten ein Argument, das ihn moralisch entlastet. Auf den Vorwurf, Gefangene seien mit Plastiktüten erstickt worden, erwidert er schlicht, das stimme nicht, sie hätten keine Tüten gehabt. Auf den Vorwurf, Kinder seien von den Balkonen der Gebäude in den Hof der Anlage geworfen worden, sagt er, dies hätte gegen das Gebot der Geheimhaltung verstoßen, denn es hätte die Anlage als Folterstätte enttarnt. Niemals bestreitet er den grausamen Zweck der Anlage, die Zahl der Toten oder seine direkte Verantwortung für die Morde. Mehrmals während des Verfahrens sagt er, er hasse Lügen. An einem Prozesstag kommt es zu einer absurden Situation, als ein ehemaliger Wächter der Anlage als Zeuge gehört wird. Um sich selbst zu schützen behauptet er plump und stur, in S-21 sei nicht gefoltert worden, es hätte keine Folter gegeben und die Gefangenen hätten ausreichend zu essen gehabt. Bis Duch plötzlich das Verfahren unbeherrscht unterbricht und den ehemaligen Wächter von der Seite her anherrscht: Er solle aufhören zu lügen.

Einmal bekam Duch von einem Vorgesetzten neu entwickelte Tabletten, die er an den Gefangenen ausprobieren sollte. Er wusste, dass sie dabei sterben könnten. Daher tauschte er die Tabletten vor dem Experiment gegen harmloses Paracetamol aus, um die Gefangenen zu schützen. Nach seiner Wertvorstellung war dieser spezielle Auftrag unmoralisch, da er nicht der Bestrafung von Schuldigen diente.



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