Gebrauchsanweisung für Peking und Shanghai by Geiges Adrian

Gebrauchsanweisung für Peking und Shanghai by Geiges Adrian

Autor:Geiges, Adrian
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Reise
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 2010-12-31T16:00:00+00:00


Bei all diesen Unterschieden haben Pekinger Taxifahrer eine Vorliebe gemeinsam: Sie trinken regelmäßig Tee aus einem Behälter, der wie ein Marmeladenglas aussieht und gewöhnlich griffbereit auf der Mittelkonsole steht. Und sie ziehen bei jeder Ampel kraftvoll die Handbremse, auf völlig flachen Straßen.

Obwohl Pekinger Taxifahrten günstig sind und dazu noch Charakterstudien ermöglichen, hat die Pekinger Stadtregierung, im Gegensatz zur Shanghaier, offenbar keine Absicht, die rapide Zunahme von privaten Pkw zu kontrollieren. Sie will, so einer ihrer Sprecher, »die Konsumbedürfnisse der Menschen mit wachsendem Wohlstand befriedigen und die Entwicklung der heimischen Autoindustrie unterstützen«. Mit letzterer sind nicht nur die 245 einheimischen Marken gemeint mit so exotischen Namen wie »Große Mauer«, »Landwind« und »Doppelte Ringe«, sondern auch die Produkte von Joint Ventures internationaler Konzerne wie Volkswagen oder Toyota, die den Markt in Peking beherrschen.

Angesichts von Smog und Staus wächst aber auch in Peking die Zahl der Bürger, denen die Autos zu viel werden. Manche scherzen über ihre tägliche Tour, die immer mehr zu einer Tortur wird: »Willst du mich erreichen? Ich bin entweder im Büro oder zu Hause oder auf dem Weg vom Büro nach Hause.« In Internetforen diskutieren Autofahrer, was sie sicherheitshalber alles im Wagen haben sollten, etwa Bücher, Klappbett oder Schlaftabletten. Wer kein Auto besitzt, wehrt sich, indem er den Verkehr sabotiert: Fußgänger überqueren sechsspurige Straßen, ohne nach links oder rechts zu schauen; die noch verbliebenen Fahrradfahrer überfahren die Kreuzungen diagonal; Dreiradmopeds sind trotz Verbots in der Innenstadt als Billigtaxis unterwegs, manchmal auch gegen die Fahrtrichtung; gelegentlich ziehen sogar noch Bauern mit ihren Eseln durch Peking, verkaufen Äpfel aus dem Karren oder transportieren damit Backsteine zu Baustellen.

Experten sagen, die Stadtplanung halte mit der rapiden Zunahme des Autoverkehrs nicht Schritt. In manchen Vorstädten Pekings sieht man über Dutzende Kilometer hinweg kein einziges Verkehrszeichen. Dafür gibt es in der Innenstadt oft alle paar Hundert Meter eine Ampelkreuzung. Die seltsamste und meistbeschimpfte Erfindung ist die Xizhimen-Kreuzung, eine Überführung, auf der sich sogar ortskundige Fahrer oft verloren fühlen. Einige schlagen vor, einen Sessel darüberzuhängen und den Straßenplaner selbst sehen zu lassen, »was für eine verdammte Brücke er gebaut hat«.

Bei vielen Bewohnern Pekings liegt der Führerschein zu Hause in der Schublade, etwa bei meiner langjährigen Mitarbeiterin Ellen Deng. Den englischen Namen hat sie sich wie viele Leute hier selbst zugelegt, eigentlich heißt sie Deng Yu. Der in China vorangestelle Familienname ist in ihrem Fall der gleiche wie der von Deng Xiaoping, dem großen chinesischen Reformer. Sie sehnt sich zurück nach dem 压马路 yamalu, was bedeutet: »Liebende spazieren ungezwungen auf der Straße.«

»In der Vergangenheit gehörte Peking den Spaziergängern, und die Autos zogen nur vorbei«, sagt sie. »Aber heute verlieren die Straßen ihren Charme und werden zu einem Ort mit verschmutzter Luft, Krach und dem Risiko von Unfällen. Die Räder haben die Übermacht. Ich möchte wieder Liebeswandeln!«



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