Gebrauchsanweisung für die USA by Adriano Sack

Gebrauchsanweisung für die USA by Adriano Sack

Autor:Adriano Sack [Sack, Adriano]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
Tags: Reise
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Fett absaugen

Nasenoperationen

Augenlider richten

Bauch straffen

Im Andy Warhol Museum in Pittsburgh hängt ein Foto von Truman Capote aus den späten 70er-Jahren. Stolz zeigt der Schriftsteller die Liftingnarben an seinem Ohr. Damals war es noch ein Skandal, als sich Hildegard Knef nach einer Gesichtsverletzung einer Schönheitsoperation unterzog. Heute ist es kein amerikanisches, sondern ein globales, geschlechtereinendes und klassenübergreifendes Phänomen, am eigenen Körper feilen zu lassen. Aber auch in den USA machen Frauen, vor allem wenn sie berühmt sind, möglichst wenig Aufhebens um ihre Schönheitsoperationen, es sei denn, es gehört zu ihrem Image wie bei der Moderatorin Joan Rivers, die als eine der Pionierinnen der plastic surgery gilt. Meist aber überwiegt der Stolz, etwas für sich getan zu haben, die Scham, dabei ein wenig geschummelt zu haben.

Zu meinen guilty pleasures, meinen Leidenschaften unter Niveau, zählt das Studium von Klatschzeitschriften. Als Elizabeth Taylor 1991 den Bauarbeiter Larry Fortensky heiratete, studierte ich Architektur an der Kunsthochschule in Hamburg. Um die Exklusivbilder von der Trauung auf Michael Jacksons Ranch Neverland in Ruhe betrachten zu können, kaufte ich die »Bunte« und brachte sie unvorsichtigerweise mit in die Uni. »Die ›Bunte‹?«, fragten meine Kommilitonen spöttisch und rissen mir die Zeitschrift trotzdem aus den Händen. Irgendwie fühlte ich mich Liz näher als diesen intellektuellen Mitläufern.

Später brach ich mein Studium ab und wurde Journalist. Zur »Bunte« hat es mich nicht verschlagen, aber meine Schwäche für Gesellschaftsberichterstattung ist mir erhalten geblieben. Für jeden Flug und jeden Strandausflug besorge ich mir deshalb einen Stapel Magazine wie »People«, »Us«, »InTouch« und »OK«. Nur den »National Enquirer« habe ich mir wegen seines zu offensichtlichen Schwachsinns wieder abgewöhnt. Und weil er auf zu schlechtem Papier gedruckt ist. In den Zeitschriften werden »Quellen«, »Freunde« und »Menschen in ihrer Nähe« zitiert, um Geschichten über die Ehekrise bei »Brangelina« (Brad Pitt und Angelina Jolie), den Sexhunger von Lindsay Lohan oder die Liebelei zwischen zwei Teilnehmern der Castingshow »American Idol« zu konstruieren. Für mich sind die Texte allerdings zweitrangig. Was mich fasziniert, ist die Kolumne »Wer trug es besser?«, in der Stars, die in dem gleichen Kleid »ertappt« wurden, miteinander verglichen werden. Klarer kann man den amerikanischen Wettbewerbsgeist kaum illustrieren (meistens gewinnt das blonde Mädchen). Noch faszinierender ist das Schönheitsideal, das diese Zeitschriften spiegeln und verbreiten. Die strahlend weißen Zähne, die weit aufgerissenen Augen, die geschürzten Lippen, das mähnenhafte Haar, die aggressiv vorspringenden Brüste, das straffe Bindegewebe an den Oberschenkeln. Vielleicht werden in Zukunft alle so aussehen. Vielleicht werden unsere Nachfahren aber auch staunend auf diese Bilder blicken, entweder weil sich diese Frauen so viel Gewalt angetan haben oder weil die Methoden der Schönheitsindustrie im Rückblick so primitiv wirken.

Das unermüdliche Trainieren und das chirurgische Optimieren des eigenen Körpers sind nur zwei Facetten der grundsätzlichen Überzeugung der Amerikaner, dass jedes persönliche Problem lösbar ist, egal, ob ästhetischer, psychischer oder biochemischer Natur. Ein Mann, der sich seine zusammengewachsenen Augenbrauen (die unibrow) nicht zupft, gilt nicht als authentisch, sondern als schlampig. Selbst in der Universitätsstadt Boston, nirgendwo dürfte die Dichte an Wissenschaftlern, Akademikern und Ärzten höher sein, gibt es bei Psychotherapeuten wochenlange Wartelisten.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.