Erkenne die Welt by Precht Richard David
Autor:Precht, Richard David [Precht, Richard David]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Goldmann
veröffentlicht: 2015-09-22T12:55:19+00:00
Die Generation des »danach«
Während der Kynismus sich einer gewissen Mode erfreut, besteht Platons Akademie natürlich weiter. Aber es ist viel passiert in den Jahrzehnten nach dem Tod des Meisters. Sein Neffe und Nachfolger Speusippos ist nach nur zehnjähriger Amtszeit 339/338 vor Christus gestorben. In dieser Zeit hat er sich von der Ideenlehre distanziert und ein Buch über die Ähnlichkeit der Dinge verfasst. Es soll dazu beitragen, die Realität genauer zu klassifizieren, als Platon es vermocht hat. Die Einheit und Geschlossenheit des platonischen Kosmos findet in Speusippos keinen Anhänger mehr. Es gibt kein absolutes Gutes, das allem anderen übergeordnet ist, wie bei Platon, sondern ein gleichberechtigtes Wirken der Einheit und der Vielheit. All dies klingt mehr nach Aristoteles als nach Platon.
Speusippos’ Nachfolger wird Xenokrates von Chalkedon, ein ehrwürdiger Herr, dem man nachsagt, etwas finster und schwerfällig zu sein. Als Philosoph ist er ungeheuer produktiv – er verfasst siebzig Schriften, die aber allesamt verloren sind. Aus fremden Quellen wissen wir, dass Xenokrates die Philosophie übersichtlich und richtungsweisend in Logik, Physik und Ethik einteilt. Er will das ungeheuer komplexe und widersprüchliche Werk Platons ordnen und zu einem Gesamtwerk zusammenfügen. Eine heikle Mission, denn wie wir gesehen haben, sperrt sich Platons Denken gegen jede allzu schnelle Glättung und Systematisierung.
Ob er seinem Meister damit nun einen Gefallen tut oder nicht – ein geschlossenes platonisches System gibt es erst durch Xenokrates. Dabei verändert sich jedoch vieles. So verschwindet der so problematische Dingcharakter der Ideen. Bei Xenokrates werden die Ideen zu Abstrakta, wie es die Zahlen sind. Nur die Dinge, die wir in der Natur finden, sind auch als Ideen dinglich. Und was der Mensch erschafft, Stühle, Speisen oder Gemälde, hat überhaupt keinen Widerpart im Reich der Ideen. In einem zweiten Schritt dreht Xenokrates Platons Denken einfach herum. Für den Meister war die Idee Tier wesentlicher als ein Hund. Für Xenokrates dagegen ist der Hund viel wesentlicher als die abstrakte Idee Tier. Solchermaßen geerdet, lehnte Xenokrates auch die Unsterblichkeit der menschlichen Seele ab, die zu beweisen Platon so viel Mühe gekostet hatte.
Als Xenokrates 314/313 vor Christus stirbt, gibt es nun endlich einen »Platonismus«, aber das Interesse daran ist nicht mehr allzu groß. Zwar halten die weiteren Nachfolger Polemon und Krates diesen Platonismus hoch, doch ist die platonische Philosophie in Athen inzwischen nur eine unter vielen. Noch schlechter ist es um Aristoteles’ Nachruhm bestellt. Seine Philosophie eignet sich weit weniger zur Heiligenverehrung als diejenige Platons. Die Nachfolger im Lykeion, die Peripatetiker, denken nicht in einem geschlossenen System. Sie setzen nun vor allem das Studium der Einzelwissenschaften fort, die Aristoteles ins Leben gerufen hat. Theophrast, der die Schule des Aristoteles bis etwa 287 vor Christus leitet, macht sich vor allem als Botaniker einen Namen. In seinen botanischen Hauptschriften, der Historia plantarum und der Causa Plantarum, erweist er sich als ein noch sorgfältigerer Beobachter der Natur als Aristoteles. Theophrast teilt die Einsicht seines Meisters, dass das Leben der Pflanze funktionieren, das Leben der Tiere gelingen und das Leben des Menschen glücken soll. Doch der große Begriff der »Zweckmäßigkeit«, der bei
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