Ende der Sommerzeit: Roman (German Edition) by Sparschuh Jens

Ende der Sommerzeit: Roman (German Edition) by Sparschuh Jens

Autor:Sparschuh, Jens [Sparschuh, Jens]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783462307757
Herausgeber: eBook by Kiepenheuer&Witsch
veröffentlicht: 2014-03-07T23:00:00+00:00


»Herr Stern?«

Ich drehte mich um. Vor der Gartentür stand ein dieselnder VW-Bus, darin saß blaugelb der Postbote, er hatte die Scheibe halb heruntergelassen und sah zu mir herüber. (… Karlowitsch, nachdem er Wohlfahrts Identität angenommen hatte, durfte nie auch nur einen Wimpernschlag lang zögern, wenn er mit seinem neuangenommenen Namen »Wohlfahrt« angesprochen wurde, sonst wäre sofort alles aufgeflogen.)

»Ja?«, rief ich zurück.

»Einfach mal ’n Schildchen ›Keine Werbung‹ anbringen, ja. Falls doch mal was Wichtiges dabei ist, von der Gemeinde oder so. Man kriegt ja sonst nie was in Ihren Kasten rein.«

Noch ein routiniertes »Danke«, die Scheibe fuhr wieder nach oben, und der Postmann fuhr zum nächsten Grundstück weiter.

Nachdenklich schlurfte ich nach hinten zur Laube.

Mein »Ja« hatte Onkel Max kurzzeitig wieder zum Leben erweckt – zumindest für diesen Augenblick, zumindest für diesen Postboten.

… Postbote? Von einem Augenblick auf den anderen war auch ich hellwach: natürlich, einer der zentralen Punkte auf Grigoris Frageliste. Wenn es einen Anhaltspunkt gab, dann den. Darum mußte ich mich jetzt unverzüglich kümmern. Statt, was sowieso unbezahlbar war, mit völlig ungewissen Erfolgsaussichten in finstere Katasteramtskatakomben hinabzusteigen oder mit dem Rad noch einmal die Strecke vom Ziestsee zum Bahnhof »Eichenberg« (Friedersdorf) abzufahren, mußte ich endlich Namen und Adresse des ehemaligen Postboten von Kolberg ausfindig machen. Bei dem hatten Nabokovs damals schließlich zur Untermiete gelebt. Alles Weitere würde sich dann von selbst ergeben.

Warum sollte ich damit kein Glück haben? Oft genug hörte man ja davon, daß es auf dem flachen Lande regelrechte Berufsdynastien gab.

Und während ich im Schuppen mit schnellen, heftigen Stößen das Rad aufpumpte, sah ich in einem Tagtraum schon, wie ich in Kolberg nach einigem Herumfragen tatsächlich den letzten Nachkommen des damaligen Postboten finde, und wie der sagt: Ja, klar, auf dem Dachboden bei uns, da gibt es so einen Karton, den hat seit Jahrzehnten niemand mehr angerührt, da muß noch ein altes Fotoalbum drin liegen.

Er geht hoch, um es zu holen. Ich sitze in der guten Stube am Tisch und warte.

Tickende Stille. Nur einmal erschrecke ich mich fast zu Tode, als ein Plastikkuckuck aus dem schwarzbraunen Türchen der Plastikkuckucksuhr, die perfekt durch eine dunkle Blumentapete getarnt ist, krächzend und spitzschnäbelig viermal hervorschnellt, vor innerer Anspannung zerdrücke ich beinahe die hauchzarte Kaffeetasse.

Knarrende Schritte auf der Treppe, der Mann kommt wieder herein, legt wichtig das Album auf den Tisch, wir blättern es auf, gehen die Jahreszahlen zurück, das luftige Seidenpapier raschelt zwischen den kartonierten Seiten, ein Theatervorhang, der jeweils einen neuen Blick auf Alltagsszenen aus dem Familienleben freigibt, die schwarzweißen Menschen im Geisterreich dieses Albums werden unaufhaltsam, von Jahr zu Jahr, jünger, aus Rentnern werden Bauern und Landarbeiter, Soldaten schrumpfen zu Schulkindern, die wiederum, ein paar Seiten zurück, als Säuglinge winzig und mit verschrumpelten Greisengesichtern aus den Kissen hochräderiger Kinderwagenkaleschen hervorschauen, schon sind wir im Jahr 1929 …

Ach ja, und das hier, der Mann mit dem Schnurrbart, das ist also unser Großvater, und daneben, das sind dann ja wohl seine Logiergäste. Die kamen, wenn ich mich richtig erinnere, aus Rußland und … Ja, und hier ist ja noch ein Bild.

Ich



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