Eine Geschichte Russlands by Orlando Figes

Eine Geschichte Russlands by Orlando Figes

Autor:Orlando Figes [Figes, Orlando]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Klett-Cotta
veröffentlicht: 2022-12-06T23:00:00+00:00


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Figes, Orlando. Eine Geschichte Russlands : SPIEGEL-Bestseller, Klett-Cotta, 2022. ProQuest Ebook Central, http://ebookcentral.proquest.com/lib/kbv/detail.action?docID=7143391.

Created from kbv on 2022-12-05 17:59:20.

Durnowos Warnung erwies sich schon bald als berechtigt. Auf Drängen

der Briten und Franzosen griffen die Russen in Ostpreußen die

Deutschen an, um sie zu zwingen, von der Westfront Truppen

abzuziehen. Nach vernichtenden Niederlagen gegen die Deutschen in

den Schlachten bei Tannenberg und an den Masurischen Seen im August

und September 1914 zogen sich die russischen Truppen zurück und

verschanzten sich in Artilleriestellungen für den langen Abwehrkampf, in

dem nach und nach die Schwächen Russlands zutage traten.

Das Land war auf einen Zermürbungskrieg nicht vorbereitet. Sein

einziges großes Plus, der scheinbar unerschöpfliche Nachschub an

bäuerlichen Soldaten, war keineswegs ein so großer Vorteil, wie die

Verbündeten angenommen hatten, als sie von der »russischen

Dampfwalze« (Russian steamroller) sprachen, die unaufhaltsam in

Richtung Berlin rollen werde. Ein großer Teil der Bevölkerung war

jünger als das Mindestwehralter. Während zwölf Prozent der deutschen

Bevölkerung für den Wehrdienst mobilisiert wurden, war Russland

lediglich imstande, fünf Prozent einzuziehen. Noch gravierender war die

Schwäche der russischen Reserven. Um Geld zu sparen, hatte die Armee

den Rekruten der zweiten Einberufungskampagne kaum eine Ausbildung

angeboten. Wenig später wurden sie aber bereits an die Front gerufen.

Im Oktober, erinnerte sich General Brussilow, der damals die Achte

Armee in Galizien befehligte, konnten die Männer, die man als Ersatz für

die Verluste der ersten verheerenden Schlachten geschickt hatte, »meist

nur marschieren, und auch das miserabel. […] oft genug kam es vor, dass

sie nicht einmal die Gewehre laden konnten, von ihren Schießkünsten

ganz zu schweigen. […] Natürlich konnten solche Leute noch nicht als

Soldaten gelten, kämpften nicht immer standhaft und hielten

unzureichend Disziplin.«[1]

Als sich der Krieg den ganzen Winter über hinzog, machte sich

allmählich Materialknappheit bemerkbar. Das Transportsystem war mit

dem Nachschub an Munition, Proviant und Medikamenten an die

Fronten hoffnungslos überfordert. Das Kriegsministerium hatte vor dem

Krieg die Ausgaben für die Rüstungsindustrie gesenkt und musste jetzt

Granaten und Gewehre im Ausland bestellen, die allerdings erst mit

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großer Verzögerung eintreffen würden. Bereits im Jahr 1915 wurden

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neue Rekruten ohne Gewehre ausgebildet. Als sie in die Schlacht zogen,

wurden sie angewiesen, die Gewehre der Gefallenen und Verwundeten in

der Linie vor ihnen zu nehmen.

Die Kampfmoral und Disziplin der Armee schwanden zusehends. Im

Sommer 1915, als die Deutschen und die Österreicher an der ganzen

Front die russischen Linien durchbrachen, ergaben sich eine Million

Mann dem Gegner. Nicht zuletzt lag dies an den Verlusten unter den

Offizieren. In den ersten Kriegsmonaten wurden viele von ihnen getötet.

Die Unteroffiziere, die ihren Platz einnahmen, waren junge Bauern und

Arbeiter: Deren Sympathie galt ganz den Truppen, die sich weigerten,

für ein Regime zu kämpfen, an das sie nicht glaubten. Diese

Unteroffiziere sollten 1917 die Anführer der Revolution in der Armee

werden.

Der Zusammenbruch der Disziplin hing mit der Verbreitung von

Gerüchten über Verrat am Hof zusammen. Es hieß, die Zarin und

Rasputin würden für die Deutschen arbeiten und einen Separatfrieden

anstreben (eine von der deutschen Presse geschürte Legende, die

Falschmeldungen über Verhandlungen mit der russischen Regierung

druckte). Der Hof hatte keine Ahnung, wie er diesen schädlichen

Gerüchten entgegentreten sollte. Er hatte der öffentlichen Meinung nie

sonderlich große Bedeutung beigemessen und nicht gelernt, sie zu

lenken.



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