Ein Jahr in Moskau by Eller Carmen
Autor:Eller, Carmen [Eller, Carmen]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Verlag Herder GmbH
veröffentlicht: 2015-08-27T16:00:00+00:00
März
Ich feiere Frauentag, werde in die Geheimnisse des Moskauer Liebeslebens eingeweiht und von einem russischen Kavalier nach Hause gebracht
Am 8. März hatte jeder Russe seinen Auftritt als Romeo. „Schenkt den Frauen Blumen“, warb ein Plakat in der Moskauer Metro, und zumindest am internationalen Frauentag folgten die Russen diesem Rat. Stoppelbärte und Adamsäpfel verschwanden hinter bunten Gestecken. Und das nicht etwa, weil es ein schlechtes Gewissen zu beruhigen galt, was man einem Blumenkavalier in Deutschland leicht unterstellte.
Von der russischen Liebe zum Frauentag hatte ich gehört, staunte aber über deren Ausmaß. Ein einziger Märztag verwandelte Moskau in ein Meer aus Blumen. Zur Rushhour gab es nun mehr Rosen als Russen auf den Rolltreppen der Metro. Um die erhöhte Nachfrage zu decken, stellten die Händler allein am Kiewer Bahnhof zwanzig neue Blumenstände auf. Unter weißer Plane banden sie bunte Sträuße und schrien durcheinander: „Sweschije rosi, frische Rosen.“ Die beste Werbung für ihre Ware aber war der Blumenduft, der nun über dem Bahnhof hing.
Nicht nur meine russischen Kollegen ließen sich von der Feiertagseuphorie anstecken. „Alles Gute zum Frauentag!“, hörte ich am Morgen in der Redaktion Christians Stimme hinter meinem Rücken. Als ich mich umdrehte, lächelte er mich hinter einem Strauß gelber Tulpen ein wenig verlegen an und hauchte mir einen Kuss auf die Wange. Obwohl mich seine Lippen kaum berührten, bekam ich sofort Gänsehaut. Hühnerhaut hätte Christian auf Schweizerdeutsch gesagt, doch er ahnte ja nicht einmal, was er gerade mit mir angestellt hatte. Um meine Verlegenheit zu überspielen, stellte ich seine Tulpen schnell in eine Wasserflasche neben meine Tastatur.
„Auch von mir alles Gute.“ Ohne dass ich ihn hatte kommen hören, stand mein Kollege Tino plötzlich mit einer Tafel Aljonka-Schokolade im Zimmer. Hinter ihm trat unser Chef Herr Podwigin durch die Tür, verbeugte sich filmreif und küsste mir die Hand. Warum war eigentlich nur ein Mal im Jahr Frauentag?
Um die Mittagszeit wurden sämtliche Mitarbeiterinnen aus Redaktion und Verlag ins große Konferenzzimmer gebeten. Dort lagen bereits Plastikteller und Servietten. Unser Kollege Dmitrij verteilte gerade die Trinkbecher. Und dann ging es los: Aus Tüten und Taschen zog Dmitrij eine süße Überraschung nach der anderen: Baumkuchen, Ananastorte und scharmel, eine russische Kreuzung aus Mohrenkopf und Milchschnitte.
Dazu kamen deftige sakuski, Vorspeisen: Gurken, Heringe, Trauben. Als Höhepunkt der Tischlein-deck-dich-Zeremonie zauberte Dmitrij eine Flasche Sowjetskoje Schampanskoje aus einer schwarzen Tüte. Die Damen klatschten, Dmitrij grinste. Dann hob er mit uns das Glas.
„Wir haben uns heute hier zusammengefunden, um den besten Menschen auf dieser Welt unsere Ehre zu erweisen.“ An dieser Stelle machte er eine Pause, holte tief Luft und blickte in die Runde: „Den Frauen!“ Die Worte gingen ihm ohne jede Ironie über die Lippen. Sprach etwa schon der Schampanskoje aus ihm?
„Diesen verehrungswürdigen, wunderschönen und überaus liebreizenden Geschöpfen gilt unser großer Dank.“ Dmitrij blickte bedeutungsvoll von einer Dame zur anderen. „Sie versüßen unser Leben, und daran soll uns heute auch der Kuchen erinnern.“ Jetzt machte mein Kollege eine zweite denkwürdige Pause und ließ seine Worte ausklingen wie eine klassische Sonate.
„So, lasst uns trinken auf euch, liebe Frauen!“ Dmitrij erhob erneut sein Glas, die Kolleginnen klatschten wieder und damit war das Buffet eröffnet.
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