Die unendliche Geschichte by Michael Ende

Die unendliche Geschichte by Michael Ende

Autor:Michael Ende [Ende, Michael]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783492253482
Google: _IdsAAAACAAJ
Amazon: B004T40YJU
Herausgeber: Piper Taschenbuch
veröffentlicht: 1979-01-01T23:00:00+00:00


16. Die Silberstadt Amargánth

Purpurnes Licht zog in langsamen Wellen über den Boden und die Wände des Raumes. Es war ein sechseckiges Zimmer, gleichsam eine große Bienenwaben/eile. In jeder zweiten Wand befand sich eine Tür, die übrigen drei Wände, die dazwischen lagen, waren mit sonderbaren Bildern bemalt. Es waren Traumlandschaften und Geschöpfe, die halb Pflanzen, halb Tiere sein mochten. Durch die eine Tür war Bastian hereingekommen, die beiden anderen lagen zur Rechten und zur Linken vor ihm. Ihre Form war völlig gleich, nur war die linke schwarz und die rechte weiß. Bastian entschied sich für die weiße.

Im nächsten Zimmer herrschte gelbliches Licht. Die Wände standen in derselben Anordnung. Die Bilder zeigten hier allerhand Geräte, aus denen Bastian nicht schlau werden konnte. Waren es Werkzeuge oder Waffen? Die beiden Türen, die nach links und rechts weiterführten, hatten die gleiche Farbe, sie waren gelb, aber die linke war hoch und schmal, die rechte dagegen niedrig und breit. Bastian ging durch die linke.

Das Zimmer, das er nun betrat, war wie die beiden vorhergehenden sechseckig, aber bläulich beleuchtet. Die Bilder an den Wänden zeigten verschlungene Ornamente oder Schriftzeichen eines fremdartigen Alphabets. Hier waren die beiden Türen von gleicher Form, aber aus verschiedenem Material, die eine aus Holz, die andere aus Metall. Bastian entschied sich für die hölzerne.

Es ist unmöglich, sämtliche Türen und Zimmer zu beschreiben, durch die Bastian bei seiner Wanderung durch den Tausend Türen Tempel kam. Es gab Pforten, die aussahen wie große Schlüssellöcher oder andere, die Höhleneingängen glichen, es gab goldene und verrostete Türen, gepolsterte und nägelbeschlagene, papierdünne und solche, die dick waren wie Tresortüren, es gab eine, die wie der Mund eines Riesen aussah, und eine andere, die wie eine Zugbrücke geöffnet werden mußte, eine, die einem großen Ohr glich, und eine andere, die aus einem Lebkuchen bestand, eine, die wie eine Ofenklappe geformt war, und eine, die aufgeknöpft werden mußte. Jeweils hatten die beiden Türen, die aus einem Zimmer hinausführten, irgend etwas miteinander gemein - die Form, das Material, die Größe, die Farbe - aber irgend etwas unterschied sie auch grundsätzlich voneinander.

Bastian war schon viele Male von einem sechseckigen Raum in einen anderen getreten. Jede Entscheidung, die er traf, führte ihn immer vor eine neue Entscheidung, die ihrerseits abermals eine Entscheidung nach sich zog. Aber alle diese Entscheidungen änderten nichts daran, daß er noch immer im Tausend Türen Tempel war - und es auch bleiben würde. Während er weiter-und immer weiterging, begann er darüber nachzudenken, woran das liegen mochte. Sein Wunsch hatte zwar ausgereicht, ihn in den Irrgarten hineinzuführen, aber er war offenbar nicht genau genug, um ihn auch den Weg hinausfinden zu lassen. Er hatte sich gewünscht, in Gesellschaft zu kommen. Aber jetzt wurde ihm bewußt, daß er sich darunter überhaupt nichts Genaues vorstellte. Und es half ihm nicht im geringsten zu entscheiden, ob er eine Tür aus Glas oder eine aus Korbgeflecht wählen sollte. Bis jetzt hatte er seine Wahl auch einfach so aus Lust und Laune getroffen, ohne viel dabei nachzudenken. Eigentlich hätte er j edesmal ebensogut die andere Tür nehmen können.



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