Die Theologie der Stoa by Stefan Dienstbeck
Autor:Stefan Dienstbeck
Die sprache: eng
Format: epub
Herausgeber: Walter de Gruyter
veröffentlicht: 2015-02-15T00:00:00+00:00
(3) Apathie als vernünftiges Aktionspotential
Affekte sind für die Stoa keine Fehlhandlungen, sondern die Bedingung ihrer Möglichkeit. Ethik erweist sich daher im stoischen Kontext nicht unmittelbar und in erster Linie als Lehre vom richtigen Handeln, sondern betrifft das Zentrum menschlicher Urteilsbildung, mithin die menschliche Ï Ï Ïή. Es geht daher nicht primär darum, Handlungen angesichts der Situation als richtig oder falsch zu kategorisieren. Vielmehr stehen der Zustand und die Verfasstheit des Seelenpneumas im Fokus stoischen Interesses. Irrelevant wird die Konsequenz ethischen Urteils allerdings nicht, doch fällt das, was sich aus der Entscheidung des Menschen ergibt, unter die Güterlehre oder genauer gesagt: unter die Lehre von den Adiaphora. Die stoische Ethik als Handlungslehre bleibt der Psychologie reserviert.
Dem im vorherigen Abschnitt erörterten Zustand des Affekts steht als Pendant der der α Ïάθε ια gegenüber.â704 Bezeichnenderweise ist â analog der epikureischen ήδ ο νή als Schmerzfreiheit â der positive Seelenzustand als ein Negativbegriff zum Affekt konzipiert. Ihm korrespondiert im Positiven etwa die ε Ï Ï Î¿ ια β ι ο Ï bzw. ε Ï Î´Î± ιμ ο νία.â705 Wie schon die Tugend als δ ιάθε Ï Î¹ Ï bestimmt wurde, so kann nun der tugendhafte Zustand des Weisen in Form der Apathie als Glück bezeichnet werden. Bezeichnend ist die Begriffsbildung mit dem Alpha privativum im Falle der α Ïάθε ια dahingehend, dass Tugendhaftigkeit, Glückseligkeit bzw. Weisheit sich psychologisch nicht positiv bestimmen lassen, sondern im Fehlen dessen festzumachen sind, was als schlechthinniges Ãbel charakterisiert wurde. Gutsein koinzidiert unter diesem Blickwinkel mit dem Freisein von Ãbel. Bliebe man bei dieser Perspektive stehen, so schiene es, als assoziiere die Stoa mit der Apathielehre letztlich eine Passivität, welche das Gute gerade als Disponiertheit bestimmt, die gut daran tue, sich nicht von den äuÃeren Reizen zu einer wie auch immer gearteten Form der Aktion führen zu lassen. Tatsächlich beinhaltet die stoische Apathie im Wesentlichen das Freisein von Beunruhigung. Hierin sind sich stoische und epikureische Ansicht einig, welche mit der Ataraxie ebenfalls den positiven Zustand der Lust als Freisein von Beunruhigung versteht. Doch wie kann angesichts der Bestimmung des menschlichen Zielzustandes, nämlich der menschlicher Seele, in praktischer Hinsicht von Affektfreiheit, ja affektlosem Unbeeindrucktsein durch das ÃuÃerliche die Rede sein, wenn der stoische Weise â wie gesehen â als tätiges Subjekt und zugespitzt formuliert: als tätiges Subjekt im eigentlichen Sinne skizziert wird? Wie lassen sich Affektfreiheit und Hand-lungsmöglichkeit zusammenbringen? Diese Abschlussfrage der stoischen Ethik sei im Folgenden erörtert. Beantwortet werden kann sie ausschlieÃlich dadurch, dass ein Bogen zurück geschlagen wird zu den Systemanfängen. Dies ist insofern im stoischen Sinne, als â wie ganz zu Beginn in Kapitel 1 gesehen â das stoische System als Ganzes weder Anfang noch Ende kennt, sondern sich prozessual versteht und reziprok aus den verschiedenen Systemteilen seine Aussagen begründet. Der Bezug der Lehre von der Apathie hin zur Prinzipienlehre im Rahmen der Naturphilosophie stellt mithin die systematische Konsequenz stoischer Systemanlage dar. Dass hierzu wenige explizite Quellenangaben angeführt werden können, tut dem nicht nur keinen Abbruch, sondern erweist sich als verständlich, wenn man auf die Kohärenz des Gesamtsystems blickt, wie es im Folgenden unternommen sei.
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