Die Strasse der Oelsardinen by John Steinbeck

Die Strasse der Oelsardinen by John Steinbeck

Autor:John Steinbeck [Steinbeck, John]
Die sprache: deu
Format: epub


17. Kapitel

Trotz seiner Güte und seiner Freunde war Doc ein einsamer Mensch, ein Einzelgänger. Mack wußte es mehr als jeder andere.

Auch unter Menschen war er immer allein. Wenn in seinem Zimmer die Vorhänge zugezogen waren und von dem Plattenspieler gregorianische Kirchenmusik ertönte, sah Mack vom Palace hinunter zum Biologischen Laboratorium und wußte, Doc hat ein Mädchen, und fühlte zugleich, Doc hat keinen Menschen, er ist ein Einsamer selbst in Stunden engster Verbundenheit.

Er war ein Nachttier. Die ganze Nacht hindurch brannte sein Licht, und dabei war er auch bei Tag auf den Beinen.

Zu jeder Tages- und Nachtzeit wehten die großen tönenden Andachten aus dem Labor, und wenn alles finster war und es schien, als sei Schlaf über ihn gekommen, erhoben sich mit einemmal die Knabenstimmen des Sixtinischen Chores morgenklar aus den Fenstern des Laboratoriums.

Felsen und Ufer des Meeres waren Docs Stapelplatz, und er wußte genau, an welcher Stelle er, was er gerade brauchte, zu suchen hatte. Alle seine Handelsartikel lagerten säuberlich abgeteilt an der pazifischen Küste, hier die Medusen, dort Polypen, da Ringelwürmer und drüben die Seeviolen. Aber wenn Doc auch wußte, wo sie zu finden waren, konnte er sie doch nicht einfach abholen, wenn er sie gerade brauchte. Denn die Natur hält ihre mannigfachen Arten wohl verwahrt und gibt sie nur zu besonderen Anlässen frei. Doc mußte nicht allein die Gezeiten kennen, sondern auch jede besonders niedrige Ebbe der einzelnen Küstenstriche. Stand eine solche bevor, so packte er seine gesamte Fang- und Sammelapparatur, Flaschen, Krüge, Glasplatten und Konservierungsmittel, fuhr damit hinaus zu dem Strand, den Klippen und Felsvorsprüngen, die seinen Bedarf in reichlicher Fülle deckten.

Diesmal lag eine Bestellung auf kleine Polypen vor, deren nächster Fundort das steinige Ebbegebiet von La Jolla zwischen Los Angeles und San Diego war, was hin und zurück je fünfhundert Meilen Fahrt verlangte und hieß, rechtzeitig bei zurückweichender Flut an Ort und Stelle zu sein.

Die kleinen Achtfüßer leben im Sand zwischen Steinen. Sie sind furchtsam und jung und suchen mit Vorliebe solche Stellen auf, deren Erdspalten und Höhlungen ihnen Schutz vor der Brandung gewähren und sie zugleich den Blicken ihrer Verfolger entziehen. Und da sich an den gleichen Orten Tausende von Seeanemonen finden, konnte Doc bei dieser Gelegenheit auch seinen Bedarf an Seeanemonen decken.

Donnerstag früh fünf Uhr siebzehn war Ebbebeginn. Wenn Doc Mittwoch vormittag von Monterey aufbrach, konnte er rechtzeitig dort sein. Er hätte gern jemand zur Gesellschaft mitgenommen, aber zufällig war niemand frei. Die Palace-Clique war auf Froschjagd im Carmeltal, drei junge Damen seiner Bekanntschaft, die sich ihm mit Vergnügen angeschlossen hätten, waren Angestellte und konnten nicht mitten in der Woche blaumachen, und Henri, der Maler, war unabkömmlich, denn das Warenhaus Holman hatte einen Flaggenmast-Eisläufer engagiert: der lief auf der Spitze der hohen Fahnenstange, die vom Dach des Warenhauses emporragte, auf einer kleinen kreisrunden Plattform Schlittschuh - immerzu im Kreise, nun schon drei Tage und Nächte! Er wollte einen neuen Plattform-Eislaufrekord aufstellen, und da der bisherige Rekord hundertsiebenundzwanzig Stunden betrug, hatte er noch ziemlich lange zu laufen. Henri hatte seinen Beobachtungsposten gegenüber von Red Williams' Tankstelle bezogen und war einfach hingerissen.



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