Die rechtschaffenen Mörder: Roman (German Edition) by Schulze Ingo

Die rechtschaffenen Mörder: Roman (German Edition) by Schulze Ingo

Autor:Schulze, Ingo [Schulze, Ingo]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2020-03-03T16:00:00+00:00


Kapitel XXXVI

Elisabeth hielt Julian fest. Er wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn und verschmierte den Dreck darauf nur noch mehr. Er hätte sich losreißen können, er war gerade dreizehn geworden. Oder stützte sich Elisabeth auf ihn? Diese strahlenden späten Augusttage waren ein Hohn. Es stank nach dem Schlamm, den die Flut zurückgelassen hatte. Von hier aus war das Dach der Scheune nicht zu sehen. Aber dort, wo Norbert Paulini im Matsch stand und das Wasser mit Steinen bewarf, hatte er es im Blick. Sein Geschrei und Gebrüll war zu hören, auch sein Ächzen, als schleuderte er jeden Stein mit einem Fluch gegen das Wasser. Die scharfen Kanten des Schotters, den die Straßenbauer vor zwei Wochen hier noch abgeladen hatten, sollten das Wasser verletzen, die Elbe sollte stöhnen vor Schmerz.

Am Abend – wie lange war das jetzt her, drei Tage, drei Monate, ein Jahr? – war er zur Fähre gefahren.

»Wir machen dicht, da kommt ’ne Welle, bring deinen Kram weg. Und mach schnell!«, rief der Fährmann, als Norbert Paulini die Landungsbrücke betrat. Der Stiel der Fährmannspfeife hatte sich wie ein hin- und herschwingender Zeiger bewegt. Und wohin würde die Fähre verschwinden?

Norbert Paulini kannte die Markierungen der höchsten Pegelstände des Flusses an den Häusern. Wie oft hatte er sich eine Sächsische Sintflut gewünscht wie die von 1845 . Das Land sollte absaufen mit Mann und Maus, eine Handvoll Gerechter darüber in einer Arche.

Norbert Paulini rief Elisabeth an, dann Marion. Dann benachrichtigte er die »Prellerstraße«.

»Ich kann nicht«, sagte er, als er die Chefin am Apparat hatte. »Wir müssen retten, was zu retten ist.«

»Gut«, antwortete sie nach einer kurzen Pause. »Aber morgen sind Sie wieder da.«

Sie glaubte ihm nicht. Hatte er übertrieben? Hatte er sich lächerlich gemacht? Elisabeth und Marion taten, was er sagte. Marion schaffte mit ihrem Passat vier Fuhren, die erste noch eingeschränkt von den beiden Kindersitzen auf der Rückbank.

Um Mitternacht war für sie Schluss. Elisabeth pendelte in einem fort mit ihrem alten Golf zwischen Niederpoyritz und dem Weißen Hirsch. Norbert Paulini fiel nichts Besseres ein, als per Handwagen die Bücher in sein Fachwerkhaus zu karren. Die Erstausgaben, die seine Rentenversicherung waren, zuerst, die Graphik, die alten und raren Ausgaben, die Künstlerbücher, dann die Gesamtausgaben, dann würde er die Regale von unten nach oben ausräumen. Der Himmel war aufgeklart. Sternschnuppen wären zu sehen gewesen, wenn er sich die Zeit genommen hätte, das Firmament zu betrachten. Der Wetterdienst prophezeite einen warmen Spätsommer bis in den September hinein. Norbert Paulini war seine Panikmache peinlich. Andererseits: Ihm würde man das verzeihen. Die Ängstlichkeit in Sachen Bücher gehörte zu dem Bild, das andere von ihm hatten. Was blieb ihm denn sonst? Die Nachrichten klangen ja tatsächlich bedrohlich. Die Weißeritz in Dresden-Plauen hatte sich in ihr altes Flussbett ergossen und den Hauptbahnhof geflutet.

Norbert Paulini machte weiter, weil Elisabeth wie ein Uhrwerk schuftete. Sie erholt sich unterwegs, tröstete er sich. Er war nicht müde. An Nachtarbeit war sein Körper seit fast zehn Jahren gewöhnt.

Als es hell wurde und Elisabeth auf dem niedrigen Scheunentisch ein Picknick bereitete



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