Die Lagune der Galeeren by Schröder Rainer M
Autor:Schröder, Rainer M. [M., Schröder Rainer]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-11-05T16:00:00+00:00
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Dass Venedig nicht nur aus herrschaftlichen Palästen und prunkvollen Kirchenbauten bestand, wurde schnell offensichtlich, als sie schon kurz hinter der Bootsanlegestelle eine Brücke über einen Kanal überquerten und gleich darauf nach links von der breiten UferstraÃe abbogen. Fast augenblicklich verlor der frühe Abend seine glitzernde, lichtdurchflutete und mit Prunk erfüllte Schönheit.
Das dicht bevölkerte Viertel, in das der Mönch ihn forschen Schrittes führte, bestand aus einem Labyrinth überwiegend enger, schattengefiillter Häuserschluchten, schmaler Kanäle und kleiner Plätze, die sich plötzlich wegen eines Brunnens oder einer Kirche vor ihnen öffneten. Vom Glanz und Reichtum, mit dem die Seerepublik entlang des Canal Grande und am Bacino di San Marco so verschwenderisch protzte, fand sich hier keine Spur. An Stelle von Marmor, istrischem Kalkstein und ähnlich edlen Baustoffen bestimmten dunkles Balkenwerk, schmutziger Lehm und nackter Backstein das Bild der schmalbrüstigen Häuser, die sich fast lückenlos wie die Pfähle einer Festungspalisade aneinander reihten. Die vorherrschenden Farben waren auch nicht cremige WeiÃtöne, leuchtendes Smaragdgrün oder ein pastellfarbenes Zartrosa, sondern das stumpfe Rotbraun einfacher Ziegelsteine und das vielstufige Grau der Verwitterung und des Schmutzes. Und wenn eine der Gassen mal Pflasterung aufwies, dann bestand diese nicht aus den in anderen Städten gebräuchlichen Bodenplatten, sondern aus blassbraunen grauen Ziegeln.
Die Kleidung der Menschen, die ihnen auf ihrem Weg in dieses Labyrinth begegneten, war mehrheitlich und unübersehbar die der einfachen, schwer arbeitenden Bevölkerung. Die schäbigen, verschlissenen Lumpen, in denen viele barfüÃige Kinder und Halbwüchsige herumliefen, und die ausgezehrten, hungrigen Gesichter gaben beredtes Zeugnis davon ab, dass der goldene Strom der Waren aus aller Herren Länder, auf den sich Macht und Reichtum Venedigs gründete, nicht durch dieses Viertel floss.
Zudem fiel Matteo auf, dass nirgendwo auf den StraÃen Reiter noch Kutschen oder gar schwere Fuhrwerke zu sehen waren. Die überwiegend schmalen, winkeligen Gassen machten einen solchen Verkehr auch völlig unmöglich. Höchstens Eselkarren und kleine, von Hand gezogene Wagen erwiesen sich in diesen Vierteln von Nutzen. In Venedig vollzog sich fast der gesamte Warenverkehr auf dem weit verzweigten Netz aus hunderten von Kanälen. Diese Wasserwege waren die pulsierenden Lebensadern der Stadt. Und auf die Bewohner, die es sich leisten konnten, für ihre Beförderung zu bezahlen, warteten hunderte von Gondeln sowie zahllose Fährboote.
Was ihnen in den Gassen jedoch zur Genüge begegnete, waren Dreck, Kot, Unrat und oft genug auch ins Dunkel davonhuschende Ratten. Hier und da stieÃen sie sogar auf Räucherstäbchen, die man abbrennen lieÃ, um dem durchdringenden Gestank zu begegnen, der aus manch einem schmalen Kanalschacht aufstieg.
»Willkommen im Schwanz des springenden Fisches«, sagte Bruder Enrico, als sie tiefer in dieses Häuserlabyrinth vordrangen.
Matteo sah ihn verständnislos an.
Der Kuttenträger lachte auf. »Aus der Vogelperspektive und mit viel Phantasie soll Venedig, das in sechs Stadtbezirke unterteilt ist, die Form eines springenden Fisches haben. Und das Viertel Castello, in dem sich unsere höchst geheime und weltberühmte Schiffswerft, das Arsenal, befindet und wo die Mehrzahl der arsenalotti wohnt, befindet sich am östlichen Ende der Stadt und bildet damit in diesem Fischbild den Schwanz.«
»Und wie heiÃt die StraÃe, in der mein Onkel wohnt?«, wollte Matteo wissen und fragte sich insgeheim beklommen, wie er sich in diesem erschreckenden Wirrwarr jemals allein zurechtfinden sollte.
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